Sonntag, 9. Juli 2017
Im Kampf gefallen
Auf diesen Moment lief es die ganze Zeit hinaus…und davor hatte ich schon die ganze Zeit Angst gehabt.
Es war ein Bruchteil von Sekunden und noch bevor er es getan hatte, wusste ich, dass er es tun würde. Der Griff um sein Wasserglas wurde fester und sein Blick erstarrte. Ruhte auf mir, wie auf einem Parasit, welches man gleich erschlagen wollte. Er saß auf dem Hocker gegenüber meines Bettes, also würde er aufstehen und ausholen. Als er schließlich aufstand, um mir das Wasser aus dem Glas entgegen zu schleudern, versteckte ich mein Handy hinter meinem Rücken und erhob mich, damit wenig Wasser auf meinem Bett landete. Das kühle Mineralwasser prickelte auf meiner Haut und saugte sich schließlich in mein graues Top, welches nun eher schwarz wirkte. Auch mein Gesicht blieb nicht verschont. Mein Mascara verlief und meine Augen brannten. Doch ich ging ihm hinterher, weil er grade dabei war die Wohnung zu verlassen. Der Mensch in mir wollte ihn am Shirt packen und sein Gesicht zerkratzen, weil er mir so weh getan hatte. Allein diese Geste war so schlimm, dass mir die Worte fehlten. Doch die Christin in mir schluckte Beleidigungen und Hass runter. Ich schrie ihm lediglich nach, dass er Hausverbot hatte. Allein schon, weil ich wollte, dass meine Großeltern ihre Ruhe hatten. Er verschwand im Hausflur und hinterließ mich mir selbst. Jetzt hieß es alles anzuwenden, was ich über Jahre des Schmerzes gelernt hatte. Meine Oma kam in den Flur gerannt und musterte mich geschockt. Sie sah das durchtränkte Top aber auch meinen Blick. Irgendetwas in ihr veränderte sich und sie wusste es. Sie war dabei mich zu verlieren. (…)
Anstatt wie sonst eine Szene zu machen und weinend zusammenzubrechen, ging ich still in mein Zimmer und bat meine Oma um Privatsphäre. Mit zitternden Fingern schloss ich die Tür hinter mir ab und setzte mich auf meine Bettkante. Mein Herz raste so schnell, als wäre ich kurz vor einem Fallschirmsprung. Ich saß einfach nur da, in meinem dunklen Zimmer, während meine kleine Nachttischlampe schwaches Licht spendete. Ich dachte an seine Worte und seine Drohungen. Wie hasserfüllt sie waren…hatte er mich jemals richtig geliebt? Oder hatte er mich nur ausgenutzt, um nicht alleine zu sein? Wie ein Roboter griff ich nach meinem Handy und blockierte seine Nummer, weil ich mir keine Beleidigungen mehr antun wollte. Anschließend beschloss ich mich komplett aus allen Social-Media-Portalen zu entfernen, weil ich mich auch aus meinem Leben löschen wollte. Keine Fotos, Posts oder Neuigkeiten mehr. Keine Haylie mehr. Alles was ich wollte, war ein normales Leben als junge Erwachsene. Ich hatte nur eine glückliche Beziehung mit ihm gewollt, ich wollte mit Freunden raus und so viele Bilder schießen, wie nur möglich war. Ich wollte einfach nur ein lustiges Leben haben, um alte Erinnerungen komplett auszulöschen. Jetzt saß ich hier, nass und fertig und in mir breitete sich die gewohnte Leere aus. Nur diesmal war es etwas anderes. Ich wusste noch nicht, was dieses neue Gefühl für Ausmaße haben würde.
Während meine Oma im Flur fluchte, kam ich langsam wieder zur Besinnung. „Ich lasse ihn nie wieder rein…“, hörte ich sie sagen. Ein Lächeln umspielte meine Lippen. Mehr ein trauriges Lächeln, denn diese Frau hatte leider schon so viel erlebt. Meine Mutter hatte auch immer das ein oder andere Problem mit Männern gehabt. Wie oft hatte Oma wohl deshalb geflucht? Ich zog das nasse Top aus und warf es auf den Boden. Danach trocknete ich mich ab und zog mir ein neues, blaues Top an. Mein Spiegelbild verriet mir, dass mein Mascara wirklich komplett verschmiert war und meine Augen rot, weil ich angefangen hatte zu weinen. Er hatte erreicht, was er wollte. Er wollte mich mit seinen Worten treffen. Hoffentlich war, ist und wird er glücklich mit dieser Entscheidung. Angestrengt schluckte ich den Kloß in meinem Hals runter und zog mein Top zu Recht. Danach kramte ich eine Kiste aus einer meiner Schubladen und fing damit an, alle Sachen die mich an ihn erinnerten, dort hinein zu packen. Es musste endlich ein Ende finden. Ich begann mit dem Bild, welches er mir gezeichnet hatte. Es war mit Tesafilm an meinem Schrank befestigt. Er hatte uns beide gezeichnet und da er sich so viel Mühe gegeben hatte, entfernte ich es sorgfältig, damit es nicht kaputt ging. Egal, wie wütend ich innerlich war, ich wusste, dass man in der Wut immer Dinge tut, die man später bereut. Also riss ich mich zusammen und legte das Bild vorsichtig in die Kiste. Dann war unser gerahmtes Foto dran, welches er mir ebenfalls geschenkt hatte. Es stand auf meinem Regal und erinnerte an unsere Anfangszeit. Tja, Haylie…du wolltest helfen, hast dich verliebt und bist gescheitert. Wie der Soundtrack meines Lebens.
Meine Kaninchen hatten sich beide in ihrem Käfig versteckt und beobachteten mich verunsichert. Im ganzen Trubel hatte ich die Beiden komplett vergessen. Sie bemerkten Spannungen zwischen Menschen und waren dann immer sehr ängstlich und seltsam. Ich ließ die Kiste auf meinem Hocker stehen und kniete mich zu den Beiden auf den Boden. Sie kamen sofort herausgesprungen und schienen sich langsam zu beruhigen.
„Es ist vorbei…“, flüsterte ich ihnen zu. „Ich habe verloren.“ Innerlich betete ich für ihn. Ich wusste, dass er ein sehr emotionaler Mensch war, was ihm nicht das Recht gab so zu handeln. Doch er ist nun mal ein Mensch und Menschen neigen dazu erst zu handeln, dann zu denken. Seine Emotionen für ein höheres Ziel aufzuschieben schaffen nur sehr wenige. Auch ich bin oft daran gescheitert. Jetzt konnte nur noch Gott ihm helfen.
Langsam beruhigte sich auch mein Herz. Ich hätte mir nur nochmal gewünscht, mit ihm zu tanzen. Hätte ich gewusst, dass letzte Nacht unsere letzte Möglichkeit gewesen ist, hätte ich mir beim tanzen mehr Mühe gegeben. Schließlich rappelte ich mich auf, packte die Kiste weg und suchte mir Sachen zusammen. Am Ende des Abends saß ich da und schrieb den Brief. Den Brief, denn ich immer vermeiden wollte.

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