Donnerstag, 25. Januar 2018
Zeiten ändern sich...nicht
Verkrampft aber entschlossen klammerte ich mich an das Lenkrad. Dabei versuchte ich nicht an die heftigen Krämpfe zu denken, welche alle fünf Minuten einsetzten. Ich versuchte an die verschiedenen Pädagogen zu denken, denn gleich würde ich eine Klausur über jene Personen schreiben. „Du schaffst das schon…“, sprach ich zu mir selbst und steuerte mein Auto durch den üblichen Berufsverkehr. Ständig blendete mich ein mir entgegen kommendes Auto und ich fragte mich, wie ich es bei dem Verkehr noch pünktlich in die Schule schaffen sollte. Hätte ich nicht den ganzen Morgen brechen müssen, wäre ich früher los gefahren und hätte jetzt nicht diesen Stress. Doch was sagt man so schön? Hätte hätte, Fahrradkette. Kaum dachte ich an meine derzeitige Lebenssituation, wollte ich schon gar nicht mehr weiter fahren. Lohnte es sich überhaupt noch, den Leuten vorzuspielen, dass ich ein normales Leben führen kann? Plötzlich verlor ich jeden Willen und jede Hoffnung weiter zu machen und der Griff um das Lenkrad lockerte sich. Rechts von mir standen parkende Autos und ein Bus kam mir entgegen. Doch das alles war für einen Augenblick egal. Ich ließ das Lenkrad los und starrte in das Licht der Scheinwerfer, welches immer heller wurde. Sofort musste ich an den Himmel denken und daran, was man über den Himmel sagt. Dort soll es keine Schmerzen geben, alles ist voller Licht und es ist einfach herrlich. Und diese Herrlichkeit und Friedlichkeit wollte ich auch endlich mal in meinem Leben spüren. Bald schon sah ich nichts anderes mehr als das große Licht und meine Gedanken waren leer. Bis der Bus anfing zu hupen. Ich dachte daran, dass Selbstmörder nicht in den Himmel kommen würden und griff wieder zum Lenkrad, um eine Katastrophe zu verhindern. Zügig parkte ich mein Auto an der Seite und machte den Motor aus. Mein Atem ging schnell und mein Magen krampfte sich wieder zusammen. Mir wurde bewusst, dass ich komplett außer Kontrolle war und dass ich nicht in die Schule fahren konnte, egal wie sehr ich diese Klausur auch schreiben wollte. Die Krankheit hatte mich auch nach Jahren immer noch im Griff. (...)
Da saß ich also wieder, im Wartezimmer der Arztpraxis, die ich schon mit verbundenen Augen zeichnen konnte. Wie immer, war es brechend voll, so dass es mehr Patienten gab als Sitzplätze. Um ehrlich zu sein war ich erleichtert, dass keine ältere Person dabei war, der ich hätte meinen Sitzplatz anbieten müssen. Es ist schon peinlich genug, mit verheultem Gesicht inmitten einer Menschenmasse zu sitzen und man weiß ganz genau, dass man aussieht wie ein Panda, weil der ganze Mascara verlaufen ist. Um Blickkontakte zu vermeiden, starte ich die ganze Zeit auf den Boden und betete ich würde schnell dran kommen. Minuten vergingen, wie Stunden. (...)
Nach dem Arzttermin wollte ich nur noch weg. Ich stand mit meinem Auto an der Kreuzung und hatte die Wahl. Entweder ich fuhr rechts, also nach Hause, oder ich fuhr nach links. Ich entschied mich nach links zu fahren und bald darauf war ich an dem alten Damm, an dem ich immer gewesen bin, als ich noch jung und unbekümmert war. Die Kirche neben dem Damm strahlte in einem unschuldigen weiß, so als lebten wir in einer perfekten Welt ohne Sorgen und spätestens da wusste ich, dass ich jede Hoffnung verloren hatte, denn ich hielt diese Kirche für unglaubwürdig.
In der Stille versuchte ich mich selbst zu finden. Und als ich wirklich nichts fand, fragte ich mich, ob ich nicht doch schon vor langer Zeit gestorben war.

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