Montag, 5. Juni 2017
Kein Leben ohne Sie
Noah:
Ich mixte uns zwei Wodka-Cola und hoffte mein Herz würde aufhören zu brüllen. Es war erst Nachmittag aber das war egal, nichts war mehr wichtig. Als ich mein Zimmer betrat, lag Fiona schon halb auf meinem Bett. Ich hielt inne, um sie zu mustern. Sie war viel zu stark geschminkt und in ihren dunkelblonden Haaren war viel zu viel Haarspray, welcher einen echt penetranten Geruch hatte. Ich reichte ihr dennoch ein Glas, denn ich wollte es schnell hinter mich bringen. Fiona packte es sich und ihre künstlichen Fingernägel krallten sich förmlich in das Glas. Sie stand auf, tanzte albern durch mein Zimmer und blieb vor den Bildern stehen, die an meinem Schrank klebten. Lauter tragischer Erinnerungen von damals.
„Wow, eure WG ist auf fast allen Bildern zusammen. Wie romantisch“, raunte Fiona und zwinkerte mir zu. Das sollte wohl sexy sein. Ich verzog nur mein Gesicht, zog mein Shirt aus und umarmte sie von hinten. Keine Gespräche mehr.
„Wer ist denn der Rotschopf?“, fragte sie plötzlich und zeigte auf ein Bild, auf dem ein Mädchen neben mir stand…Haylie. Sofort ließ ich sie los. „Das geht dich verdammt nochmal nichts an!“, knurrte ich sie an. Meine Muskeln spannten sich an und ich wollte sie nur noch los werden. „Was ist denn mit dir los?“, wollte Fiona erschrocken wissen. „Du laberst mir zu viel! Hau ab!“, brüllte ich und griff nach meinem Shirt. „Ist das dein Ernst?! Du Arschloch brauchst dich dann nie wieder bei mir melden!“, fuhr sie mich jetzt an aber das war mir so egal. Nachdem ich mein Shirt wieder anhatte, schob ich die fauchende Fiona durch den Flur, direkt zur Tür. Als Fiona verschwunden war, bemerkte ich direkt, dass mich ein neugieriges Augenpaar musterte. Dana stand im Türrahmen des Wohnzimmers und zog eine Braue hoch, als ich sie ansah. „Was hat Fiona dir plötzlich getan?“, fragte sie direkt. „Ach das ist auch nur eine Schlampe, die ich sofort ins Bett bekommen hätte…nichts besonderes…“, sagte ich schroff und wollte nur noch in mein Zimmer. Doch dann sagte Dana: „Wohl nicht so wie Haylie.“ Und ja, sie hatte recht…nicht so wie Haylie. (…)
Ich hatte es Haylie nie leicht gemacht. Mein Kampf begann, als sie mit diesem Eric zusammen kam. Ja, ich bin dran schuld, dass diese Beziehung in die Brüche gegangen ist und ich denke, dass sie mir das nie wirklich verziehen hat.
Es war spät in der Nacht und ich wollte Haylie sehen, denn ich wusste, die Beiden hatten sich gestritten. Das war meine Chance für sie da zu sein.
Ich parkte mein Auto am Marktplatz und lief auf ihre Haustüre zu. Da sah ich ihn…Eric, der gegen die Tür klopfte und unbedingt rein wollte.
Sofort schnaubte ich vor Wut. „Hey, du Hund! Was machst du hier?“, brüllte ich ihn an. Ja, keine besonders poetische Wortwahl. Eric drehte sich überrascht um. Sein Gesichtsausdruck wurde ernst. Er wusste, wer ich bin. „Und was machst du Wichser hier?“, setzte er zum Angriff an. Doch ich war mindestens ein Kopf größer als er, was mich automatisch zum grinsen brachte. „Was schon? Ich besuche mein Mädchen“, provokant zwinkerte ich ihm zu. Eric kam mir immer näher, wahrscheinlich wollte er mir eine reinhauen. „Verpiss dich“, knurrte er. Plötzlich ging die Tür auf und eine wutentbrannte Haylie stand auf der Fußmatte. Sie trug nur ein Handtuch und ihre kurzen, braunen Haare klebten an ihrem Kopf, weil sie noch extrem nass waren. „Seid ihr völlig bekloppt?! Ich habe auch noch Nachbarn!“, zischte sie und fing im selben Moment an zu zittern. Wir hatten Herbst und man sollte nicht frisch geduscht vor die Tür gehen. „Ich dachte du hast keinen Kontakt mehr zu diesem…was auch immer!“, fing Eric an und schaute Haylie enttäuscht an. „Guck nicht so enttäuscht! Du kannst mir nicht von heute auf morgen meine Freunde weg nehmen! Und du…was machst du hier?! Hör auf dich in meine Beziehung einzumischen!“, sie wandte sich an mich. Noch bevor Eric oder ich was sagen konnten, ging sie wieder in ihr Haus. „Ihr macht mich alle wahnsinnig“, war das Einzige, was man noch verstehen konnte, dann fiel die Tür zu. Eric stammelte noch einige Beleidigungen, dann verschwand er. Aber ich wusste, wie ich in das Haus kommen konnte. Im Hinterhof des Häuserblocks gab es eine Mauer. Wenn man über diese Mauer klettern konnte, befanden sich nur noch zwei Gartenzäune vor dem Garten von Haylie. Und diese waren sehr niedrig. Also kletterte ich über diese drei Hindernisse und kurz darauf stand ich vor der Gartentür von Haylies Haus. Diese war seit dem letzten Sturm kaputt, weshalb man sie einfach öffnen konnte. Eine große Sicherheitslücke, die noch behoben werden musste aber nicht an diesem Tag.
Im Wohnzimmer war es stockdunkel, genauso wie im Flur. Sie musste also oben sein. Leise ging ich die vielen Treppen hoch ins Dachgeschoss. Dort war ihr Reich. Als ich die Holztür hinter mir schloss und die letzten Stufen nahm, hörte ich ein leises Wimmern. Sie weinte. „Erschreck dich nicht, ich bin´s“, gab ich mich zu erkennen. Haylie zuckte kurz zusammen und schaute dann in meine Richtung. Sie saß auf einer großen Eck-Couch. Jetzt hatte sie ein großes Männer-Shirt von >>The Walking Dead<< an und ihre Haare bildeten einen kleinen Zopf. „Du bist durch die Gartentür gekommen“, stellte sie schnell fest. „Ja, die müsst ihr echt reparieren“, bemerkte ich grinsend und setzte mich neben sie. Sie lehnte ihren Kopf gegen meine Schulter und atmete durch. „Noah, so geht das nicht weiter. Wenn du dich weiter einmischt, dann verliere ich ihn. Ich weiß nicht, ob ich das kann“, sprach sie leise. „Dieser Kerl hat dich nicht verdient…“, erwiderte ich ernst. Sie hob ihren Kopf und sah mich direkt an. „Aber du?“ Falls sie glaubte ich würde ihrem Blick nicht standhalten, lag sie da völlig falsch. Mein Kopf kam ihrem immer näher, bis sich unsere Nasenspitzen fast berührten. Ich merkte sofort, wie unsicher sie wurde. „Sag du es mir“, antwortete ich mit rauer Stimme und starrte ihre Lippen an. Kurz bevor wir uns küssen konnten, zog sie sich schnell zurück. Sie krabbelte ans andere Ende der Couch und schaute mich vorwurfsvoll an. „Jesus! Führ´ mich doch nicht in Versuchung! Es ist besser, wenn du jetzt gehst“, meinte sie kühl und schaute mich nicht mehr an. (…)
Dana ließ mich nicht in Ruhe, weshalb ich mich mit ihr auf die Wohnzimmercouch setzte. Verzweifelt fing ich an, mit den Fingern auf den kleinen Tisch vor uns zu trommeln. „Dann war Fiona halt nicht die Richtige. Es kommen noch genug Chancen“, versuchte mich Dana aufzuheitern. „Es ist über ein Jahr her…aber ich möchte Haylie immer noch…wann hört das auf?“, wollte ich wissen. Doch Dana würde die Antwort auch nicht kennen. Dana sah plötzlich sehr traurig aus. „Ich weiß es nicht.“
„Das ergibt für mich keinen Sinn!“, ich stand auf und lief im Raum auf und ab. „Haylie und ich waren kurz davor eine super Beziehung zu haben, doch dann läuft alles schief! Sie macht Schluss mit mir und ich kenne nicht mal den richtigen Grund…und danach lernt sie diesen Marvin kennen!“ Dana fing an, an ihrem Ärmel zu spielen. „Vielleicht hättet ihr keine Wette abschließen sollen…“, flüsterte sie. Ich blieb wie erstarrt stehen und sah sie an. „Die Wette zwischen Jonah und mir? Als Jonah gewettet hat, dass ich sie nie kriegen würde?...Woher wusste Haylie von der dummen Wette?!“, fuhr ich Dana an. Sie zuckte leicht mit den Schultern und traute sich nicht, mich anzugucken. „Du hast es ihr erzählt und sie denkt jetzt, ich wollte sie nur ins Bett bekommen!!!“, ich fiel aus allen Wolken. „Wie konntest du nur?!“ Ich stürmte sofort aus dem Wohnzimmer. „Wo willst du hin?!“, rief mir Dana hinterher. „Es ist zu spät!“ (…)
Ich wusste mittlerweile, dass Haylie in einer Kita arbeitete. Und ich konnte mir denken, in welcher. Damals waren wir oft spazieren gewesen und sie hatte mir von ihrer alten Kita erzählt.
Es war halb vier, als ich ihren roten Wagen sah und wusste, dass ich richtig war. Ich ging einen schmalen Weg entlang und mein Herz begann schnell zu pochen. Bald schon hörte ich Kinderlachen und bemerkte einen großen Zaun, hinter dem ein Spielplatz war. Wie es aussah, gehörte das zur Kita-Einrichtung. Langsam lehnte ich mich gegen den Gitterzaun und sah mich auf dem Spielplatz um. Mitten auf der kleinen Rutsche stand jemand, der viel zu groß war für diese Kinderrutsche. Haylie. Ich sah sie das erste Mal seit langem wieder. Sie trug einen dünnen, roten Kapuzen-Pullover und eng anliegende Hosen. Ihre Haare waren mittlerweile richtig lang geworden und sie hatte zwei Strähnen mit einer Spange zusammengesteckt. Sie sah wunderschön aus, während sie lachend auf der kleinen Rutsche stand, weil sie anscheinend die Kinder unterhalten wollte. Die kleinen Knirpse versammelten sich unten an der Rutsche und lachten lauthals. „Du passt da doch nicht rein!“, rief ein kleines Mädchen amüsiert. „Doch! So dick bin ich auch nicht!“, rief Haylie und quetschte sich in die Rutsche. Die Kinder lachten immer lauter und auch die restlichen Erzieher mussten grinsen. „So! Aufgepasst!“, rief Haylie und hob ihre Hände zum Start. Die Kinder applaudierten, als Haylie unten angekommen war. Sie hob einen kleinen Jungen hoch, der kaum aussah, wie zwei. Sie sah ihn so liebevoll an, während sie ihn durch die Gegend trug, dass mein Herz total erweichte.
Die nächste halbe Stunde wartete ich an ihrem Auto. Ich wusste nicht einmal, was genau ich ihr sagen sollte. (…)
Ich bekam weiche Knie und ja, ich zog mich zurück. Es gab so viel, was ich ihr sagen wollte und noch mehr, was ich mit ihr tun wollte. Doch ich wollte nicht mehr, dass ihr Lächeln verschwand. Also setzte ich mich in meinen Wagen und schaute automatisch auf meinen Beifahrersitz. Wie oft hatten wir gemeinsam im Auto gesessen und rumgealbert. So oft und dennoch stach dieses eine Mal heraus. Dieses eine Mal, wo Haylie mit ihrem langen, weißen Kleid auf dem Beifahrersitz saß und mit mir lachte. Sie hatte das Kleid in ihrem Serbien-Urlaub gekauft und fühlte sich darin sichtlich wohl. Es stand ihr und ihrem süßen Feengesicht. Und jetzt? Jetzt war der Sitz leer und in wenigen Sekunden würde sie in ihr eigenes Auto steigen. Es lag an mir, ob sie mich vorher zu Gesicht bekommen würde oder nicht. Also fuhr ich los, die Hände fest um das Lenkrad geklammert, sodass meine Knöchel weiß anliefen. Grade rechtzeitig, denn im Rückspiegel sah ich, wie sie grade aus der Gasse kam und ihr Auto aufschloss. Ich würde sie wiedersehen und sie glücklich machen aber meine Zeit war noch nicht gekommen. (…)

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