Mittwoch, 17. Februar 2016
...schnell und schmerzlos
Die ganze Nacht hatte ich getrunken und gekifft. Mein Leben wandte sich dem absoluten Tiefpunkt zu. Ich wusste auch gar nicht mehr, was genau passiert ist. Nur noch, dass ich am Ende ziemlich fertig war.
Ich lehnte an der Wohnzimmer-Wand einer fremden Wohnung. Naja, so fremd war mir Henry gar nicht. Wir waren öfter mal unterwegs, wenn ich wieder abstürzen wollte. Henry kam zu mir rüber und klopfte auf die Wand neben mir. "Ich geh pennen, wenn du willst kannst du mir Gesellschaft leisten", sagte er und fing an zu grinsen. Als Antwort bekam er nur einen schwachen Mittelfinger. Ich nahm Henry nur noch verschwommen war. Seine blonden Haare waren unter einer grauen Mütze versteckt. "Na gut, dann penn eben auf der Couch." Grade als er den Raum verlassen wollte, hörten wir es an der Türe klopfen. Zuerst dachte ich, es wäre die Polizei. Vielleicht hatten wir die Musik zu laut aufgedreht und die Nachbarn fühlten sich dadurch gestört. Moment...hörten wir überhaupt Musik? Welchen Wochentag hatten wir? Wie viel Uhr?
Henry verschwand und kurze Zeit später stand ein fassungsloser Noah vor mir. Nein! Der sollte verschwinden! "Henry du Penner! Die ist ja voll zu...", hörte ich Noah fluchen. Plötzlich kam mir ein Gedanke...wenn Noah hier war befand sich vielleicht auch mein Exfreund hier...sein bester Freund! Panisch sah ich mich in dem Raum um aber alles verschwamm mal wieder. Das beruhigte mich wenigstens. "Alter, das ist nicht mein Problem! Ich geh jetzt pennen. Mach was du willst", lallte Henry und verschwand wieder.
Noah kniete sich neben mich. "Zeynep hat mir gesagt, dass du hier bist. Ausgerechnet bei dem größten Saufkopf von uns...", fing er an. Dann streckte er seine Hand nach mir aus und strich mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr. "Nein...du bist der Feind", zischte ich und lehnte meinen Kopf von ihm weg. "Heißt es in deiner Religion nicht auch, dass man vergeben soll? Zumal ich nichts gemacht habe, Honey", bemerkte Noah leise. Ich drehte meinen Kopf wieder in seine Richtung. "Sehe ich irgendwie religiös aus momentan? Da bist du bei mir grade an der falschen Adresse", gab ich zurück. Mir ging es gar nicht gut, überhaupt nicht. "Nein, du siehst momentan ziemlich bekifft aus", stellte er trocken fest. Anschließend versuchte er, mir aufzuhelfen.
Erinnerungslücke.

Wir waren in seiner WG und ich hing mal wieder mit dem Kopf über der Kloschüssel. Mir war gar nicht bewusst, wie viel ein Mensch kotzen konnte.
Irgendwann lies ich mich vor Erschöpfung fallen. Noah kam ins Badezimmer und half mir mal wieder auf. "Da weiß man gar nicht, ob du wegen dem Alkohol kotzt, wegen dem Gras oder wegen deinen Anfällen. Das macht die Sache nicht leichter", sagte er nachdenklich und setzte mich auf einen Küchenstuhl. "Ich kann dir nicht mal Tabletten geben, weil du schon so total zugedröhnt bist." Er kramte in einer Schublade und holte ein Päckchen heraus. Tee...auch noch Kamille, würg.
Als er meinen angewiderten Blick sah, lächelte er leicht. "Ich kann dir leider nichts anderes geben und außerdem wird es dir gut tun. Mach nicht so ein Gesicht." Ich legte meinen Kopf auf den Küchentisch und wartete auf das furchtbare Getränk.
Als ich den Tee ausgetrunken hatte, gingen wir in sein Zimmer. Mir ging es etwas besser, fühlte mich aber immer noch benebelt. Noah legte sich auf sein Bett und ich steuerte den Schreibtischstuhl an.
"Kann ich noch an deinen Laptop? Schlafen kann ich jetzt vergessen...mir ist zu schlecht...", sagte ich.

Ich war ganz unten angekommen. Wenn ein Mensch nicht mit Verlusten umgehen konnte, dann war ich das. Wahrscheinlich, weil ich die Menschen um mich herum so sehr liebte und alles für sie tun würde. Sobald ich sah, dass dies nicht auf Gegenseitigkeit beruhte...ja, da verletzte es mich einfach.
Für mich gab es niemals Freunde, alle waren Teil meiner Familie. Da lag das Problem: Ich liebte die falschen Menschen zu sehr. Ich musste damit aufhören schnell zu vertrauen und zu lieben.
Das machte keinen Sinn, denn früher oder später gingen sowieso alle.
Vielleicht musste ich lernen, so wie die anderen zu sein. Einfach mal an mich denken und an keinen anderen. Dann musste ich allerdings meine komplette Persönlichkeit ändern. Aus irgendeinem Grund, fühlte ich mich nämlich für die Probleme der anderen verantwortlich und ich mischte mich immer ein, um zu helfen. Damit musste jetzt Schluss sein! Von jetzt an hieß es: an mich denken...
Und Noah? Der war schon längst eingeschlafen, als ich den Laptop zuklappte.
Ich würde ihm nicht mehr vertrauen können. Fakt war aber, dass ich die Wahrheit über ihn einfach nicht kannte. Ich konnte in dem Zustand nirgends hin und meine Augen brannten vor Müdigkeit.
Also legte ich mich neben ihn und hoffte, ich würde schnell in den Schlaf gleiten.
Ausnahmsweise...schnell und schmerzlos.

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