Freitag, 19. August 2016
Das Spiel mit der Liebe
Ich sehnte mich echt nach einem normalen Abend mit Freunden. Irgendwie passte es grade sehr gut, dass Nicole nicht locker gelassen hatte mit der Kino-Einladung. Nicole war eine damalige Klassenkameradin, mit der ich mich immer recht gut verstand. Wir hatten keine besondere Bindung oder sonstiges. Wir waren einfach nur zwei junge Erwachsene, die Spaß haben wollten. (…)
Es war Abend, der Himmel begann dunkle Schatten zu werfen, dennoch war es warm. Also entschied ich mich für ein fransiges Top, eine kurze Jeans und dazu passende Sportschuhe. Meine braunen Haare klemmte ich mit einer kleinen Spange aus dem Gesicht und warf noch mal einen Blick auf mein Spiegelbild, bevor ich es danach direkt hupen hörte. Sven, ein Freund von Nicole, fuhr uns beide und begleitete uns an dem Abend auch. Hastig packte ich meine Handtasche, rief meiner Großmutter zum Abschied und verließ die Wohnung. (…)
Das Auto von Sven entpuppte sich als Kleider-, Büro- und Küchenschrank. Ich saß hinten im Auto, zwischen zahllosen Akten, haufenweise Tüten und Konserven und einer beachtlichen Sammlung von Jacken. „Lass mich raten…du bist Student“, sagte ich, als ich oberflächlich die Dokumente musterte. „Bingo!“, rief Sven aus und fuhr Richtung Kino. Nicole saß bereits neben ihm auf dem Beifahrersitz. Sie trug echt knappe Hosen und ein bauchfreies Top. Ihre langen, dunkelbraunen Haare hingen ihr, wie bei einer Meerjungfrau, über die linke Schulter. Und ihre Haare waren wirklich lang. Manchmal beneidete ich sie dafür. (…)
Am Kino angekommen, war es bereits etwas dunkler. Nicole ging auf die Toilette und Sven und ich warteten vor der Türe. Das Kino-Foyer war bereits brechend voll. Lief an dem Tag ein guter Film, von dem ich nichts wusste? Wir gingen jedenfalls auf eine Überraschungs-Premiere. Meistens waren die Filme, mit denen man uns zu überraschen versuchte, der größte Müll. Aber manchmal, ja, da hatte man Glück.
Während wir warteten, spürte ich etwas, dass aus Svens Richtung kam. Mit einem Seitenblick versuchte ich ihn zu mustern. Er hatte kurze, blonde Haare und einen ziemlich gewöhnlichen Kleidungsstil. Seine Augen versteckte er hinter einer Sonnenbrille mit blauen Gläsern. Das, obwohl wir schon im Gebäude waren.
Ich räusperte mich, sofort sah er zu mir. Dann deutete ich auf seine Brille. „Willst du die nicht abnehmen?“ Grinsend tastete er nach seiner Brille und schob sie auf den Kopf. Sofort stellte ich mich vor ihn hin und starrte ihm geradewegs in die blau-grünen Augen. Meine Augen kniffen sich zusammen, mein Kopf geriet in eine Schieflage und automatisch biss ich mir auf die Unterlippe. Verdammt, das musste ich tatsächlich immer machen! Als ich dabei nichts sagte, begann sich Sven zu wundern. „Wow…du hast echt…coole Augen“, wollte er mir schmeicheln. Plötzlich traf es mich, wie ein Schlag. Er war in Nicole verliebt! Das, was ich in Sven sah war Zuneigung und das Bedürfnis, endlich ihre Hand halten zu können. Sven wollte intime Momente mit ihr teilen. Sehen, wie sie schläft, wie er sie in den Armen hält. Die Liebe hatte sich den Weg von seinem Herz, zu seinen Augen, in meine Wahrnehmung gebahnt. „Du liebst sie“, platzte es aus mir heraus. Seine Augen weiteten sich überrascht. Die Gespräche der anderen Kino-Besucher schienen immer leiser zu werden, je näher ich der Wahrheit kam. Ich musste der Tatsache ins Auge sehen: Ich war eben keine normale, junge Erwachsene. Noch bevor Sven etwas erwidern konnte, tauchte Nicole neben uns auf und grinste, wie ein Honigkuchenpferd. „Ich freu mich richtig auf den Film!“, stellte sie fest. Sven lächelte aber seine Augen verrieten mir bereits, dass ich seine Tarnung aufgedeckt hatte. (…)
Der finstere Kino-Saal war brechend voll und der Film sehr gut. Nach jeder vergangenen Minute fühlte ich mich immer normaler. Ein sehr schönes Gefühl, allerdings spielten mir die Gefühle von Sven nicht grade in die Karten. Seine Zuneigung war allgegenwärtig. Nicole saß in der Mitte und machte total dicht. Er würde sie nicht einfach so berühren. Da musste etwas von ihr kommen und sie war eine sture Nuss. Zuerst wollte ich mich raushalten. Das ging nicht lange gut. (…)
Meine gewohnten Magenschmerzen setzten während des Films ein. Da es eine Gewohnheit war, hatte ich die helfenden Schmerzmittel bereits parat. Schnell kramte ich nach einer kleinen Flasche mit Tropfen, die ich nur noch in meine Cola mischen musste. Nicole war so in den Film vertieft, dass sie weder mein Stöbern in der Tasche, noch die Seitenblicke von Sven mitbekam. Da fiel mein Blick zuerst auf die Tropfen und dann auf ihre Cola. Die Tropfen hatten keine schlimmen Nebenwirkungen. Allerdings war eine häufige, dass man Schüttelfrost bekam. Sven würde sie wärmen können! Unbemerkt griff ich nach ihrem Becher und tropfte etwas von dem Mittel hinein. „Willst du nicht mal was trinken?“, flüsterte ich in ihr Ohr und reichte ihr den Becher. Sie nahm es dankend an und zog einige Male an dem Strohhalm. Runde-Eins ging an mich! (…)
Keine halbe Stunde später bildete sich eine Gänsehaut auf ihren nackten Armen. Das konnte man sogar im dunklen Kino sehen. Nicole schüttelte sich leicht, hatte aber keine Jacke mit. Natürlich bemerkte Sven dies sofort und legte einen Arm um ihre Schultern. Mit der anderen Hand strich er ihr sanft über die Haut. Zufrieden lehnte ich mich in meinem Sitz zurück und genoss den Film. (…)
Für das Ende der Vorstellung hatte ich mir bereits einen Plan ausgedacht. Ich wollte, dass die Beiden sich näher kamen. Zum einen, weil ich Menschen grundsätzlich gerne glücklich sah, zum anderen, weil die Gefühle, die ich von Sven spürte, mich wahnsinnig machten. Das musste beendet werden! Grob griff ich nach meinem Becher mit der Cola und verschüttete es auf Nicoles Oberteil. Kreischend sprang sie auf. Die Leute, die eigentlich den Kino-Saal verlassen wollten, drehten sich noch einmal um, um anschließend den Saal kopfschüttelnd zu verlassen. Tja, ich Tollpatsch! Allerdings tat ich das nicht umsonst. Ich ahnte, dass Sven in seinem fahrenden Kleiderschrank einen Pulli von sich haben musste. „Das tut mir so leid! Scheiße, ich bin echt neben der Spur!“, bemerkte ich, mit gespielter Hysterie. Hektisch kramte ich nach Taschentüchern und wollte das klebrige Zeug abtupfen. „Das geht so nicht raus…na toll!“, jammerte Nicole und schaute auf ihr Oberteil hinab. „Ich hab einen Pullover im Auto. Den kannst du gerne haben“, bot Sven, wie ich vermutet hatte, an. Er warf ihr einen liebevollen Blick zu und Nicole beruhigte sich schlagartig. Auch Runde-Zwei ging an mich! (…)
Nach dem Kino, schlug Sven vor bowlen zu gehen. Anscheinend wollt er nicht, dass dieser für ihn so vorteilhafte Abend, so abrupt ein Ende fand. Nicole willigte ein und ich würde dem ohnehin nicht im Wege stehen. (…)
Da es ziemlich spät in der Nacht war, waren wir die Einzigen auf der Bowling-Bahn. Für die dritte Runde hatte ich beschlossen, einen alten Freund zur Unterstützung dazu zu holen. Alkohol.
Ich bestellte drei Drinks und sorgte dafür, dass grade Nicole immer genug Nachschub bekam. Sodass sie am Ende einfach ehrlicher sein würde. Ich kannte sie bereits lange genug, um zu wissen, dass sie gerne log und sich zurückzog, wenn sie nüchtern war. Angetrunken war sie dagegen ehrlich und bereit, zu ihren Gefühlen zu stehen. Das war die einzige Möglichkeit, mehr aus ihr heraus zu bekommen. (…)
Der Abend verging, Freunde von alten Zeiten kamen dazu. Wir tranken, spielten Bowling und lachten sehr viel. Am Ende war ich diejenige, die kaum grade stehen konnte, doch es hatte sich gelohnt. Denn am Ende der Nacht lag Nicole schlafend auf dem Beifahrersitz. Bei jeder Gelegenheit sah Sven zu ihr und lächelte warmherzig, so als wäre sie ein kostbarer Schatz. Sie lag da, in seinem Pullover und schlafend, so wie er es sich gesehnt hatte. Meine Schmerzen und der Druck in meiner Magengegend verschwanden und ich fühlte mich glückselig. Als Sven vor meiner Wohnung hielt, um mich raus zu lassen, schaute er mich noch einmal dankend an. „Ich weiß nicht, wie du das gemacht hast…aber danke“, flüsterte er, um Nicole nicht zu wecken. „Woher willst du wissen, was ich gemacht habe?“, fragte ich ihn verwundert und öffnete leise die Autotür. „Sie war noch nie so, wie heute. Das war echt ein schöner Abend“, bemerkte er froh. Ich sah ihn mit vernebeltem Blick an. Ehrlich gesagt, drehte sich die Welt für mich etwas schneller. Das waren vermutlich zu viele Drinks gewesen. „Eng sie nicht ein, dann wird das vielleicht was“, nuschelte ich benommen und verließ das Auto.
Ok, dass ich am Ende so betrunken sein würde, hatte nicht zu dem Plan gehört. Doch ich kann auch hier verzeichnen: Die finale Runde-Drei ging sowas von an mich!

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