Dienstag, 23. Februar 2016
Detektiv-Arbeit
"Was war jetzt nochmal dein genialer Plan?", wollte Noah wissen, nachdem er uns zwei Becher Kaffee besorgt hatte. Ich schaltete das Radio leiser und schaute auf die Fußgängerzone direkt vor uns. Wir hielten neben der Hauptstraße, um einen besseren Blick auf Christian zu haben. Der lehnte sich gegen eine Straßenlampe und tippte auf seinem Handy herum. Er ahnte nicht einmal, dass wir ihm auf der Lauer lagen. Noah reichte mir meinen Becher und lehnte sich im Beifahrersitz zurück. "Ich habe Zeynep versprochen, dass ich ein Auge auf ihn habe. Wir dürfen ihn nicht verlieren! Wenn er sie wirklich betrügt braucht sie Beweise", stellte ich die Situation klar. Noah schüttelte leicht den Kopf. "Das ist doch lächerlich...wenn die Beziehung schon an dem Punkt angekommen ist, lohnt die sich sowieso nicht mehr", bemerkte er und pustete in den Becher. Da hatte er nicht ganz unrecht. Allerdings konnte ich auch verstehen, dass meine Freundin Gewissheit brauchte. Und ich liebte es, Leute zu beschatten! "Ich hab ihr versprochen es durch zu ziehen."
Nach einigen Minuten setzte sich Chris in Bewegung. Es war ein warmer Wintertag und die Sonne schien fröhlich auf die vielen Menschen, die kreuz und quer durch die Gegend liefen. Wir würden Chris verlieren, wenn wir nicht hinterher liefen. Also stieg ich aus dem Auto und Noah folgte mir. Unsere Zielperson lief einige Meter vor uns und schaute immer wieder auf sein Handy. Er hatte einen dunkelroten Pulli an und seine blonden Haare waren etwas länger und durcheinander. Wir hatten Chris nur einmal flüchtig gesehen, weshalb wir nicht auffielen. Noah lief entspannt neben mir und schlürfte seinen Kaffee, während ich total aufgeregt und nervös war. Vorsichtshalber knipste ich unauffällig einige Bilder. "Du könntest auch Privatdetektivin werden", sagte Noah belustigt. Ich streckte ihm kurz die Zunge raus und konzentrierte mich dann wieder auf die Zielperson.

Wir folgten ihm durch die halbe Stadt. Plötzlich steuerte Chris das Gebäude an, welches ich nicht mit eingeplant hatte. Den Fernsehturm. Nein, nein, nein! Mir war bewusst, dass ich ihn nicht verlieren durfte aber meine extreme Höhenangst würde das nicht erlauben. Noah sah ebenfalls, wie Chris im Eingang des Fernsehturms verschwand und grinste mich frech an. "Tja Honey, was machen wir jetzt?", fragte er und lachte. "Ich muss zugeben...das habe ich nicht geplant. Du kannst einfach hoch gehen und ein paar Bilder machen", schlug ich zögernd vor. "Ich hab eine bessere Idee!" Er nahm meine Hand und zog mich Richtung Eingang. Oh, nein!

Im Aufzug dachte ich, mein letztes Stündlein hätte geschlagen. Mein Herz würde mir gleich aus dem Hals springen und ich würde ohnmächtig werden. Meine Hände klammerten sich an Noahs Arm und drückten immer fester zu. Das war so ein schreckliches Gefühl! Er sah mich die ganze Zeit an und lächelte aufmunternd. "Du kannst es wenigstens versuchen. Wird schon schief gehen", versuchte er mich zu beruhigen aber ohne Erfolg. Der Aufzug hielt an und die Türe öffnete sich. Das Erste was ich sah, waren die Fenster, die bis zum Boden gingen. Und auch auf dem Boden waren einige Scheiben. Mein Herz schien stehen zu bleiben. Ich traute mich nicht mal mehr zu atmen. Während andere die Aussicht bestaunten, hatte ich mich komplett an Noah geklammert und versteckte mein Gesicht, indem ich es auf seine Brust drückte. Er strich mir mit der Hand über den Rücken. "Hörst du mein Herz an deinem Ohr? So ruhig muss dein Herz auch werden. Atme einfach mit mir und schau mich an." Mühselig sah ich in seine besorgten Augen. Er zog mich an einen Tisch, der möglichst weit weg von den Scheiben war. Es gab hier wohl eine Art Eisdiele. Wir bestellten uns jedoch nur zwei Gläser Cola. Die Beschattung war schwerer, als zunächst gedacht. Als ich mich einigermaßen gefangen hatte, schaute ich mich nach Chris um.

Tief im Inneren hatte ich gehofft Zeynep sagen zu können, dass sie sich irrte. Ich wollte ihre traurigen Augen nicht sehen und auch nicht, wie eine Beziehung schon wieder in die Brüche geht. Doch all das Hoffen bringt nichts, wenn die Wahrheit direkt vor einem sitzt. Chris und ein fremdes Mädchen saßen dicht beieinander und teilten sich einen großen Erdbeerbecher. Zwischendurch warfen sie sich verliebte Blicke zu und küssten sich. Wie konnte man so verlogen sein? Noah bemerkte die beiden auch und verdrehte die Augen. "Das wird ihr das Herz brechen", stellte er leise fest. "Ich werde ihm was brechen", zischte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen. Das Gefühl der Wut ließ mich so manches vergessen. In dem Moment ließ es mich vergessen, wie viele Menschen neben uns waren, in welcher Höhe wir uns befanden und welche Prinzipien ich hatte. Ich sprang auf und einige Sekunden später stand ich direkt vor Chris und seinem Date.
Ich nahm den Erdbeerbecher und leerte ihn über Chris Kopf aus. Vanillesoße gemischt mit Erdbeereis tropfte von seinen Haaren auf seine Klamotten und er sprang auf. Wütend kam er auf mich zu. "Was fällt dir ein, du kleines Miststück?!", fuhr er mich an und baute sich vor mir auf. "Das wollte ich auch eben fragen! Du hast Zeynep gar nicht verdient!", brüllte ich und bemerkte in dem Moment, dass alle Augen im Fernsehturm auf uns gerichtet waren. Chris wollte grade ausholen und mir wahrscheinlich eine verpassen, als Noah seinen Arm packte und ihn von mir weg drückte. Er stellte sich schützend vor mich. "Wag es dich du beschissener Bastard!", knurrte er bedrohlich. Die Kellner kamen auf uns zu und wollten die Szene beenden. Doch plötzlich gingen Chris und Noah aufeinander los und begannen sich zu prügeln. Nur mit Mühe konnte der Kellner die beiden auseinander bringen und drohte dann damit, die Polizei zu informieren. "Es wird nicht nötig sein. Wir hauen sowieso jetzt ab", sagte Noah sauer und nahm meine Hand. Seine Lippe war aufgeplatzt und blutete leicht. Chris sah da schlimmer aus...aus seiner Nase floss eine Menge Blut und ich ahnte, dass es Konsequenzen geben würde. Der genervte Kellner wandte sich an Chris: "Wenn sie nicht wollen, dass wir die Polizei holen, dann bezahlen sie jetzt und verlassen das Gebäude." Chris schnaufte verärgert. "Passt schon."

Ich kramte in der Schublade im Badezimmer, um den Erste-Hilfe-Kasten zu finden. Noah war grade im Wohnzimmer der WG und erzählte Zeynep von ihrem treulosen Freund. Ich konnte das wirklich nicht...
Als ich den Kasten gefunden hatte, ging ich ebenfalls ins Wohnzimmer. Ich erwartete eine weinende Zeynep. Doch sie lächelte gerührt und umarmte mich. "Die Aktion mit dem Eisbecher war echt der Hammer!", flüsterte sie und ihre Augen wurden dann doch feucht. "Ich wusste, dass er fremd geht und jetzt habe ich meine Bestätigung. Ich hätte es nicht besser beenden können, als du! Ich liebe dich!", rief sie aus und drückte mich nochmal. Ich sah zu Noah, der lächelnd auf der Couch saß. Seine Wange war gerötet und die Lippe blutete immer noch etwas. "Dank Noah...er hat ihn verprügelt", bemerkte ich und ging auf ihn zu. "Ihr seit beide super! Ich koche uns was...", sagte Zeynep und verschwand in der Küche. Sie liebte es zu kochen aber man sah ihr trotzdem an, dass sie unglücklich war. Von uns allen war sie die Beste wenn es darum ging, Gefühle zu verstecken.
Ich begann damit, Noahs Verletzung zu reinigen und starrte dabei auf seinen Mund. Natürlich bemerkte ich seine bohrenden Blicke aber ich versuchte sie zu ignorieren. "Er wollte dich schlagen", stellte er leise fest. Nachdem ich das Reinigungstuch auf den Tisch gelegt hatte, sah ich zu ihm. "Hat er aber nicht, dank dir." Plötzlich bemerkte ich, wie seine Kiefermuskeln zuckten und seine Augen nass wurden. Was war jetzt los? "In der Nacht...in der...er dich verprügelt hat...ich war nicht da...", stammelte er empört. "Du hattest keine Chance gegen ihn." Noah sprach über seinen ehemals besten Freund und meinen Exfreund, der eine andere Definition von Liebe hatte. "Es ist nicht deine Schuld", sagte ich schnell und schnitt ihm somit das Wort ab. Unsere Blicke trafen sich...noch nie hatte er mich so intensiv angeguckt. Es war, als würde er direkt in meine Seele gucken. "Das werde ich nie wieder zulassen", stellte er fest. Ich schaute wieder auf seinen Mund. "Tut das weh?", fragte ich und starrte auf die Wunde. "Gibt schlimmeres", flüsterte er und hörte nicht auf, mich anzustarren.

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