Mittwoch, 24. Februar 2016
Einzelkämpfer
Ich öffnete meine Augen. Langsam und müde sah ich mich um und zuckte sofort zusammen. Meine Knochen schmerzten heftig, mein Körper war eiskalt, während mein Kopf verbrannte. Ich hatte mich oft schwach gefühlt aber diesmal konnte ich mich wirklich kaum bewegen. Vorsichtig versuchte ich meine Hand zu bewegen. Jemand hielt sie fest. Die Sicht wurde deutlicher und ich erkannte Noah, der mit seinem Kopf auf meinem Bett lag und meine Hand festhielt. Es war nicht mein Bett...es war ein Krankenhausbett. Ich war im Krankenhaus? Als ich meinen Kopf drehte, sah ich das EKG-Gerät an dem ich angeschlossen war. In meiner anderen Hand steckte eine Nadel, durch die eine Flüssigkeit transportiert wurde.
Das Krankenzimmer war hell und freundlich eingerichtet. Neben mir befand sich noch ein Bett, welches allerdings leer war.
"Noah...", sagte ich heiser. Meine Stimme hörte sich schrecklich an. Er schaute sofort auf und wirkte erst erstaunt, dann erleichtert. Seine Augen waren feucht und sein Gesicht erschien auch blasser als sonst. "Honey...wie geht es dir?", fragte er schnell und rückte mit seinem Stuhl näher an mein Bett. "Mir tut alles weh. Kann mich kaum bewegen...was ist passiert?" Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Noah drückte einen roten Knopf neben meinem Nachttisch und wandte sich wieder zu mir. "Ich war so ein Vollidiot! Ich habe dich angelogen als ich sagte, ich habe ein Date mit einem anderen Mädchen. Ich war nur so aufgebracht, weil du mir immer noch nicht ganz vertraust. Es war dumm von mir. Irgendwie musst du dich dann dazu entschlossen haben, zu mir zu fahren. Zeynep hat dich in unserem Flur gefunden...dein Herz war schwach", erzählte er mit zittriger Stimme.
Ein Arzt kam in das Zimmer und schaute mich überrascht an. "Du bist wieder wach?", fragte Dr. Seidel überrascht und checkte mich ab.
Nachdem er fertig war, schien er verdutzt zu sein. "Sollen wir deine Familie benachrichtigen?" Ich schüttelte meinen Kopf. Niemals wollte ich, dass sie auch noch hier auftauchten. "Gut, da du schon Volljährig bist belassen wir es dabei. Ich muss mit dir über das Geschehene reden. Darf dein Freund bei dir bleiben?" Ich sah kurz zu Noah, der leicht lächelte und dann nickte ich. Es tat weh, wenn ich sprach. Deshalb beließ ich es bei leichten Kopfbewegungen. "Du warst jetzt schon öfter bei uns. Ich weiß auch, dass du in Behandlung bist wegen diesen...Anfällen. Du sagtest mal zu uns, dass kein Arzt wüsste was genau du hast. Leider muss ich dir mitteilen...es ist bei uns genauso. Wir wissen nicht, warum es passiert. Bei normalen somatoformen Störungen kommt es einfach nicht dazu, dass ein gesundes Herz aufhört zu schlagen. Wir mussten dich zurück holen und du warst auch kurzzeitig im Koma. Deine Organe sind in einem top Zustand. Wir haben alles öfter geprüft, als wir es normalerweise täten und wissen: Dein Körper ist gesund", erklärte Dr. Seidel mit einem verzweifelten Unterton. "Allerdings finden wir noch etwas ziemlich erstaunlich. Dein Körper scheint sich selbst zu zerstören aber er baut sich genauso schnell wieder auf. Nach allem was gestern Abend passiert ist, bist du heute wieder wach. Sowas ist meinem Team und mir noch nie unter die Augen gekommen."
Ein weiterer Arzt, der mir nicht helfen konnte. Traurig sah ich zu Noah und drückte seine Hand. Er schien meine Gedanken zu lesen, denn er fragte: "Und was können wir jetzt tun? Ich meine, sie möchte studieren und ihr Leben leben ohne jeden Tag Schmerzen zu haben. Es muss doch etwas geben..."
Der Arzt schüttelte leicht mit dem Kopf. "Wir wissen nicht, was sie hat. Wahrscheinlich hat es was mit ihrer Psyche zu tun. Doch ich habe noch nie gesehen, dass es solche Ausmaße annehmen kann. Solange wir keine klare Diagnose setzen können, können wir ihr auch nichts verschreiben", stellte Dr. Seidel fest.
"Also muss ich damit leben...", hauchte ich schwach.
Mir tat alles so schrecklich weh...
"Wir können dir nur anbieten hier zu bleiben und stationär behandelt zu werden. Dann muss die Sache mit dem Studium warten." Der Arzt schaute auf seine Uhr und verabschiedete sich von uns.

Noah legte meinen Rucksack auf das Bett und packte einige Dinge aus. "Damit du dich hier nicht langweilst", sagte er und gab mir ein Buch. Er hatte auch an meinen Laptop gedacht und an mein Notizbuch. "Niemand hat sich gemeldet oder? Ich meine, aus meiner Familie...", sagte ich enttäuscht und starrte auf meinen Roman.
Noah hörte auf sich auf den Rucksack zu konzentrieren und sah mich mitfühlend an. "Nein...aber ich bin da." Keiner, nicht mal meine Eltern oder sonst irgendwer aus meiner Familie wusste, dass ich beinahe ums Leben gekommen wäre. Sie wussten auch nicht, wie sehr ich litt oder was ich alles durchmachen musste. Nicht, weil ich es ihnen nie gesagt hätte. Sie interessierten sich einfach nicht für mich.
Da merkte ich, dass ich zwar mal wieder überlebt hatte aber es ist auch wieder ein Teil von mir gestorben. "Wir schaffen das schon", sagte Noah liebevoll und küsste mich auf die Stirn.
Eine Träne rollte über meine blasse Wange...

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