Sonntag, 31. Juli 2016
Es
Je schöner die Beziehung mit Marvin wurde, desto schlechter ging es mir gesundheitlich. Was seltsam war, denn eigentlich dachte ich, Liebe hätte die Kraft zu heilen. (…)
Nachdem ich tagelang nur Videospiele gespielt hatte, war es nur logisch, dass ich in meinen Träumen gegen Zombies kämpfen musste. Ich stand mitten auf der Straße einer Großstadt, die ich nicht benennen konnte. Zombies kamen auf mich zu und ich hielt meine Waffe bereit. Als ich so drüber nachdachte wurde mir bewusst, dass nur eine Waffe nicht reichen würde, um diese ganze Herde von Untoten auszuschalten. Zu meinem Glück tauchte Marvin plötzlich neben mir auf. Auch er hatte eine Waffe in der Hand. Die Zombies kamen näher und ich schoss einigen in den Kopf. Doch Marvin unternahm gar nichts. Er stand neben mir, starrte mich an und ließ die Waffe hängen. „Du musst schießen!“, wies ich ihn an. Keine Reaktion. Ein Mädchen umarmte ihn von hinten. Ihr Gesicht konnte ich kaum sehen, nur ihre braunen Haare, die sich wie ein Schal um seine Schultern legten. Was zum…? Empört ließ ich meine Waffe sinken und ignorierte die Zombies, die sich weiter einen Weg durch die Straßen bahnten, nur mit dem Ziel mein Gehirn zu fressen. „Wer ist sie?“, fragte ich den Traum-Marvin. Das Mädchen kicherte, während sie sich weiter in seinen Rücken drückte. „Tut mir leid“, sagte Marvin, öffnete das Magazin der Waffe und ließ die Patronen auf den Asphalt fallen. Er drehte sich um und beugte sich zu der Fremden. Sie küssten sich. Das Stöhnen der Zombies wurde immer lauter und vermischte sich mit einer Stimme in meinem Kopf. „Du hast nur noch eine Kugel im Lauf. Töte, wer den Tod verdient hat.“ Wütend richtete ich die Waffe auf den Hinterkopf des fremden Mädchens, welche sich immer enger an Marvin schmiegte. Meine Finger spielten mit dem Anzug und drückten ihn leicht zurück. Kurz bevor ich schoss, füllten sich meine Augen mit dicken Tränen und verschleierten meinen Blick. Im selben Augenblick wusste ich, wer den Tod vermutlich mehr verdient hatte. Ich richtete die Waffe gegen meine Schläfe. „Tu das nicht!“, brüllte die Stimme jetzt. „Was wird sonst aus dem Baby?“ Fassungslos riss ich meine Augen auf und sah auf meinen Bauch. Unter meinem dünnen, weißen Schlaftop war eine Wölbung zu sehen. (…)
Sobald ich wach wurde, stürmte ich aus meinem Zimmer, um schnell zur Toilette zu rennen. Dort erbrach ich mich und lehnte mich anschließend erschöpft gegen die Badewanne. Meine Finger tasteten über den Stoff meines Tops. Keine Ahnung was ich erwartete aber mein Bauch war flach und schwanger konnte ich schon mal gar nicht sein. Manchmal wurden meine Träume zu krass für meinen Kopf und ich konnte es nicht richtig verarbeiten. Besonders nicht, wenn ich Marvin mit einer anderen zusammen sah. Nachdem ich mir die Zähne geputzt hatte ging ich zurück in mein Zimmer. Dort beschloss ich Dana eine Nachricht zu schreiben. >>Mir geht’s nicht gut. Wollte eigentlich zu euch kommen aber schaffe es nicht. << Es dauerte etwas, bis eine Antwort kam. Solange lag ich auf meinem Bett und summte verstört vor mich hin. >>Wir können auch zu dir kommen, wenn du willst. Ist etwas passiert? << Eigentlich wollte ich keine Gesellschaft aber ich musste dringend mit jemandem reden und Marvin antwortete nur mit knappen Nachrichten. Vermutlich war er genervt von mir. Wer konnte ihm das verübeln? Sofort schossen mir Bilder von ihm und diesem Mädchen in den Kopf. „Es war nur ein Traum“, flüsterte ich mir selbst zu. >>Nur der übliche Wahnsinn<<, tippte ich ein. (…)
Mein Körper wurde immer schwächer. Umso schwerer war es, mir normale Klamotten anzuziehen, ohne hinzufallen. Ich entschied mich für enge aber gemütliche Leggins. Die hatte ich vor kurzem gekauft. Sie waren grau und hatten ein schönes, schwarzes Muster. Über mein schwarzes Top zog ich eine Bluse in Tarnfarben. Und meine Haare? Naja, die steckte ich einfach unordentlich nach oben. Als ich in den Spiegel sah, war ich kaum zufrieden. Von Natur aus hatte ich schon eher eine blassere Hautfarbe aber an dem Tag wirkte sie noch blasser, als sonst. Ich sah ziemlich ungesund aus.
Die Tür klingelte und ich schleifte mich durch den Flur, um die Türe zu öffnen. Gut, dass meine Großeltern nicht zu Hause waren. Meine Oma hätte sich wahrscheinlich über meine krumme Körperhaltung beschwert. Als die Tür offen war, umarmte mich eine fröhliche Dana. Sie hatte sich ihre roten Haare ausnahmsweise Mal geglättet, was sie älter aussehen ließ. Generell hatten sich ihre Outfits geändert, seitdem sie mit Nick zusammen war. Ihr Kleidungsstil wurde mehr femininer und erwachsener. Sie trug eine enge, dunkelblaue Jeans, hohe Schuhe, eine weiße Bluse und eine enge, schwarze Lederjacke. Alles saß perfekt, als wäre es für sie geschneidert worden. Erwartungsvoll blickte ich über ihre Schulter, weil ich hoffte, Leonie dort zu sehen. Ich traf mich kaum noch mit ihr, seit der "Sturm-Geschichte". Dabei hatte ich sie nicht absichtlich in Gefahr bringen wollen. Nick, ihr Bruder, hielt es jedenfalls für das Beste, wenn wir uns nicht mehr so oft sahen. Zu meinem Entsetzen war jedoch nicht Leonie mitgekommen, sondern Noah. Ich hatte wirklich nicht genug Kraft, mich mit ihm auseinander zu setzen. (…)
Dana rührte nachdenklich ihren Tee um, während ich ihr alles erzählte, was mir in den letzten Tagen widerfahren ist. Allerdings wollte ich nicht mit Noah reden. Er saß abseits von uns auf der Couch, schaute ab und zu in unsere Richtung und schlürfte an seiner Cola. Am Ende meiner Erzählung zeigte ich ihr die Kratzer auf meinem rechten Arm. Vor einigen Tagen hatte mich…etwas gekratzt und ich wusste nicht, was es war. Einfach so. Einige Freunde von mir dachten, ich würde mich ritzen. Dem war aber nicht so! Dana zog scharf die Luft ein und tastete vorsichtig mit ihren Fingern über die Kratzer. „Es wird aggressiv“, hauchte sie entsetzt. Urplötzlich stand Noah neben mir und griff nach meinem Arm, um es sich auch genauer anzusehen. „Ach du Scheiße“, meinte er danach. Anhand meines eher mahnenden Blickes erkannte er schnell, dass ich Abstand wollte. Mit einem besorgten und gleichzeitig auch genervten Blick ging er zurück auf die Couch. „Ok, fassen wir mal zusammen“, begann Dana so sachlich, wie möglich. „Es…was auch immer es ist…verletzt dich. Mal hast du Kratzer, mal blaue Flecke. Dann sorgt es dafür, dass es dir gesundheitlich immer schlechter geht. Du bekommst keinen Schlaf und selbst in deinen Träumen bist du kaum sicher. Hab ich was vergessen?“ Das gehörte zwar nicht direkt zum Thema, lag mir aber auf der Zunge. „Ich habe Angst, dass es meine Beziehung kaputt machen wird“, gab ich zu und schaute auf den Henkel der Tasse in meiner Hand. Um den Tee zu trinken, war er noch viel zu heiß. „Als wenn deine Beziehung hier das größte Problem von allen wäre“, schnaubte Noah verächtlich. Dana warf ihm einen warnenden Blick zu. „Ist doch wahr!“, fuhr er fort. „Wer weiß, vielleicht arbeitet dein Freund mit diesem Wesen zusammen. Das würde erklären, wieso du jetzt auf einmal so komisch bist und dich nicht mehr für deine anderen Freunde interessierst.“ Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, stand ich vor ihm und verpasste ihm einen Schlag gegen die Wange. Danach war es ruhig, sodass ich meinen schnellen Herzschlag sogar hören konnte. Noah fasste sich kurz an die rote Wange und schaute mich dann mit seinen blauen Augen an, als hätte ich ihn grade umgebracht. „Wer bist du geworden?“, fragte er sehr leise. Man konnte es kaum verstehen. Leider, habe ich das verstanden. „Geh bitte aus meiner Wohnung“, sagte ich trocken und wandte mich ab. Diese ganzen Probleme machten mich aggressiver, als ich normalerweise bin. Doch keiner hatte das Recht so über Marvin zu sprechen und ihm auch noch zu unterstellen, dass er mit der Sache zu tun hatte. Noah stand auf, bedachte mich mit einem Blick, der mir bis ins Knochenmark ging und verließ die Wohnung. Ich fühlte mich schrecklich. Dana legte eine Hand auf meine Schulter, was mich zusammenzucken ließ. „Sei ihm nicht böse. Er hat es nicht so gemeint. Wir wollen dich einfach nicht verlieren“, stellte sie mitfühlend fest. Ich drehte mich um und umarmte sie. Dabei legte ich mein Kinn auf ihre Schulter. „Ich liebe Marvin. Er hat damit nichts zu tun und so soll es auch bleiben“, bemerkte ich und flehte Dana fast an, obwohl sie keine Macht darüber hatte. „Wir müssen Schritt für Schritt vorgehen“, meinte sie und löste sich aus unserer Umarmung. „Du musst herausfinden was es will.“ Fragend legte ich meinen Kopf schief. „Wie das denn?“ Dana zuckte mit den Achseln und gab eine simple Antwort: „Frag es.“

... link