Dienstag, 29. März 2016
Geocaching
Ich hab meine Freunde und ihre verrückten Ausflüge wirklich vermisst. Als Dana mich angerufen hatte und mir berichtete, welche Pläne sie für die Nacht hätten, war ich sofort dabei. Geocaching in der Nacht reizte mich sehr. Immerhin sollte es in einem Wald stattfinden, was den Gruselfaktor erhöhte. Noah fuhr uns mit seinem Auto hin. Es dauerte über eine Stunde, bis wir in der Dunkelheit ankamen und das Navigationssystem sprach: „Sie haben ihr Ziel erreicht.“ Noah parkte das Auto am Waldrand und wir stiegen aus. Jonah und Dana warfen sich ihre Rucksäcke über und schalteten die Taschenlampen ein. Eine Gruppe von vier Leuten, die nachts durch den Wald liefen. Perfekter Anfang für einen krassen Horrorfilm. Vor allem, weil man ohne Taschenlampen nicht mal die eigene Hand vorm Gesicht sehen konnte. Noah ging zum Kofferraum, während auch ich meinen Rucksack überwarf und mit der Taschenlampe in den finsteren Wald leuchtete. „Das hier ist ein Jagdgebiet. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass wir angeschossen werden. Aber die Jäger haben dazu geraten, die Lampen immer anzulassen, damit sie einen rechtzeitig bemerken. Die jagen gerne bei Vollmond“, klärte uns Noah auf, während er im Kofferraum wühlte. Dana holte ein kleines Notizbuch raus, um die erste Koordinate für den ersten Reflektor in ihrem Handy einzugeben. Es gab insgesamt fünf Reflektoren, die an Bäumen befestigt irgendwo im Wald hangen. Wir hatten die Koordinaten für diese Dinger. Es hieß, alle Reflektoren zu finden, um am Ende eine Koordinate für die „Ziel-Kiste“ zu haben. „Hier“, sagte Noah plötzlich und holte eine Warnweste aus dem Kofferraum. „Zieh die an, dann sehen dich die Jäger auf jeden Fall und werden nicht schießen.“ Er reichte mir die Weste und schloss sein Auto. Missmutig starrte ich auf die Weste. „Ist das echt nötig? Ihr habt auch keine.“ Noah zog mein Rucksack runter und legte mir die Weste um. „Naja, erstens hab ich nur eine Weste und zweitens will ich nicht, dass dir was passiert.“ Dana und Jonah grinsten vor sich hin. „Heute wird keiner erschossen“, stellte Dana fest. „Kommt, es geht los!“

Der Wald war dicht bewachsen und groß. Es hatte am Vortag geregnet, weshalb der Waldboden meistens schlammig und rutschig war. Ich hatte Angst, wollte die anderen damit aber nicht nerven. Deshalb schwieg ich die meiste Zeit und leuchtete zwischen die Bäume, um mögliche Angreifer rechtzeitig zu sehen. Als wir an der ersten Koordinate ankamen, konnten wir breit und weit keinen Reflektor finden. Wir teilten uns auf und leuchteten jeden Busch und jeden Baum an. Die Stille im Wald war das schlimmste. Kein Vogel sang und man konnte kein Auto hören, welches auf eine Straße hindeutete. Wir waren echt tief im Nichts. Wir hatten alles abgesucht und trafen uns in der Mitte wieder. Dana starrte konzentriert auf ihre Notizen. „Gut, hier scheint also keiner zu sein“, stellte sie genervt fest. „Vielleicht hat den jemand mitgenommen. Es gibt so sinnlose Leute“, warf Jonah schulterzuckend ein. „Und was machen wir jetzt?“, wollte Noah von Dana wissen. Diese dachte kurz nach und gab dann die zweite Koordinate im Handy ein. „Wir suchen erst einmal weiter. Bei der ersten Zahl müssten wir dann raten. Was anderes bleibt dann nicht übrig.“ Wir gingen also weiter, einen Hügel hoch. Ich dachte über diese Problematik nach. Wenn die Reflektoren leicht zu erreichen wären, würde sie bestimmt ein Idiot einfach so mitnehmen können. Also mussten sie zwar sichtbar sein aber nicht direkt erreichbar. Die Anderen gingen den Hügel weiter hinauf, während ich mich umdrehte. Ich leuchtete die Bäume an aber diesmal höher. Volltreffer. An dem Ast eines Baumes baumelte ein Reflektor herunter. Hoch genug, damit ihn keiner mitnehmen konnte. „Hab ihn!“, rief ich den anderen zu. Alle drehten sich zu mir und leuchteten mit ihren Taschenlampen auf den Punkt, auf den ich mit meiner Lampe zeigte. Dana lachte begeistert und flitzte an mir vorbei, um sich die Zahlen aufzuschreiben. „Das Mädchen hat Augen, wie ein Fuchs!“, sagte Jonah anerkennend und ging zu Dana. „Mein Fuchs“, fügte Noah hinzu und legte seinen Arm um meine Schultern. Es war komisch wieder so innig mit ihm umzugehen. Zumal ich nicht wusste, wie ich überhaupt mit Noah umgehen sollte. Seit der Sache mit Marvin hatte sich einiges geändert.

Von jetzt an leuchteten wir immer weiter oben in die Bäume. So fanden wir auch den zweiten, dritten und vierten Reflektor, während es immer tiefer in den Wald ging. Mir wurde immer mulmiger zumute und ich wurde das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Beim letzten Reflektor kam es zu Komplikationen. Wir schienen im Herzen des Waldes zu sein. Es war stockdunkel, kalt und matschig. Die Koordinate führte uns den Weg weiter, jedoch endete dieser abrupt. Ein steiler Abhang lag vor unseren Füßen. Ich blieb am Rand des Abhangs stehen und leuchtete runter. Es war unmöglich da runter zu klettern, ohne sich wehzutun. Überall lagen Äste, Baumstämme und es war rutschig und hoch. Unmöglich. Das erkannten auch die Anderen. „Also ich geh da nicht runter. Das sieht aus, wie ein schwarzes Loch da unten“, bemerkte Jonah, der neben mir aufgetaucht war. „So ein Mist! Dabei wäre das die letzte Koordinate!“, fluchte Dana. „Wir haben die anderen Zahlen alle gefunden. Bei der letzten raten wir einfach“, schlug Noah vor. Dana dachte kurz darüber nach. „Aber dann ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass wir die Kiste finden.“ Ich stand weiter am Rand und versuchte eine Lösung zu finden. Dabei gab der matschige Boden unter meinen Füßen nach und ich verlor den Halt. So kam es, dass ich den kompletten Abhang runterrutschte und dabei gegen Äste und Baumstämme knallte. Ich versuchte immer wieder mit den Händen Halt zu finden aber es gelang mir nicht. Schließlich kam ich unten an und die Taschenlampe rollte neben mir her. Zum Glück schien ich nicht ernsthaft verletzt zu sein. Meine Klamotten waren allerdings jetzt voller Schlamm und ich befand mich alleine in der Dunkelheit. Von oben hörte ich panische Stimmen nach meinem Namen rufen. „Mir geht’s gut! Nichts passiert!“, schrie ich zurück und fragte mich bereits, wie ich da wieder hoch kommen sollte. Ich rappelte mich auf und leuchtete mit der Taschenlampe die Bäume an. Tatsächlich befand sich der letzte Reflektor direkt vor mir. „Ich hab die letzte Koordinate gefunden!“, brüllte ich nach oben. „Ich hol dich wieder hoch, warte da!“, rief Noah hinterher.
Es dauerte etwas, bis Noah vorsichtig den Abhang runterrutschte. Dabei verdreckte er sich ebenfalls seine Klamotten. Als er bei mir ankam, umarmte er mich und hielt mich fest, als drohte ich wieder abzustürzen. „Es tut mir leid! Ich hab nicht aufgepasst“, flüsterte er mir in die Haare. „Du kannst doch nichts dafür! Ich bin einfach tollpatschig.“ Ich löste mich aus seiner Umarmung und deutete auf den Reflektor am Baum. Er holte Danas Notizbuch aus seinem Rucksack und schrieb die Zahlen auf. „Gut, also wir müssen da wieder hoch aber das schaffen wir nur, wenn wir uns gegenseitig stützen“, stellte Noah eindringlich fest. Mir graute es davor, wieder auszurutschen. Aber es half alles nichts, wir mussten da hoch. „Du gehst voran und ich bleibe hinter dir. Wenn du ausrutscht halte ich dich fest.“ Ich befolgte seine Anweisungen und begann hochzuklettern. Es war anstrengend und schwer und oft drohte ich wieder auszurutschen. Doch Noah hielt Wort und drückte mich weiter hoch. Einmal rutschte er fast aus aber ich packte ihn am Arm. Völlig fertig aber mit der letzten Koordinate kamen wir bei Dana und Jonah an.

Wir fanden die Kiste neben einem Baum. Es war mehr eine kleine Dose, die sich unter einem Stein befand. In der Dose war eine Liste, in der wir uns eintrugen. Zugegeben, die Liste war nichts Besonderes aber hier war der Weg das Ziel. Wir verstauten die Dose wieder dort, wo wir sie gefunden hatten und gingen zurück zum Auto. Erschöpft und müde sprachen wir kaum ein Wort, als Noah uns zurückfuhr. Dana und Jonah waren auf den Rücksitzen bereits eingeschlafen. Ich sah eine Tankstelle neben der Autobahn. „Wollen wir uns einen Kaffee holen?“, fragte ich Noah und zeigte auf die Ausfahrt. Wir besorgten uns zwei Becher Kaffee und setzten uns auf den Bordstein des Rastplatzes. Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter. „Seit wann hast du keine Angst mehr vor dunklen Wäldern, Honey?“, wollte er von mir wissen. „Ich habe Angst und wie“, gab ich zu. „Aber es hätte nichts gebracht zu jammern.“ Ich trank einen Schluck von meinem Kaffee und verbrannte mir dabei leicht die Zunge. „Du hättest was sagen können. Du musstest das nicht tun“, stellte Noah fest. „Aber ich wollte“, unterbrach ich ihn entschlossen. „Ich wollte mich meiner Angst stellen und euch helfen diese Kiste zu finden. Einfach aus Prinzip. Diese Ängste nerven mich und bremsen mich nur aus.“ Er suchte meinen Blick. „Es ist aber in Ordnung Angst zu haben. Nur das du es weißt“, sagte er mit sanfter Stimme. „Wobei, ohne dich hätten wir die ganzen Koordinaten nicht gefunden. Ich bin stolz auf dich. Und mit dem ganzen Dreck im Gesicht siehst du echt sexy aus!“ Ich verdrehte grinsend meine Augen und stieß ihn leicht gegen die Rippen. „Es hat Spaß gemacht und ich hab euch wirklich vermisst“, gab ich lächelnd zu und sah zum Auto, wo Dana die hintere Türe öffnete und uns zuwinkte. „Wir haben dich auch vermisst“, sagte Noah entschieden.

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