Dienstag, 14. Juni 2016
Highway
Das coole an meinem Nebenjob war, dass ich Autos fahren konnte, die ich mir hätte so nie leisten können. Mein Stiefvater war Autohändler und ab und an kam es vor, dass ich für ihn Autos abholen musste. So kam ich mal aus der Stadt und hatte reichlich Spaß dabei.
Heute war wieder einer dieser Tage, an denen ich mitfahren musste, um einen Auftrag zu erledigen. Ehrlich gesagt kannte ich mich mit Autos nicht so gut aus. Ich kannte die Marken und wusste, wie man fährt. Aber die Technik überließ ich den Jungs. Sasha, ein Mitarbeiter von meinem Stiefvater, nahm mich mit. Wir hatten eine vierstündige Autofahrt vor uns…
Es war vier Uhr am Nachmittag, als ich die Werkstatt betrat und Sasha begrüßte. Sasha hatte kurze, hellbraune Haare und grüne Augen. Jedes Mal, wenn ich ihn sah, hatte er Motoröl im Gesicht. Ein typischer Auto-Narr und perfekt für diesen Job. „Ich würde sagen, ich fahre hin. Einverstanden?“, schlug Sasha vor und schloss die Werkstatt ab. Ich nickte und steuerte den BMW an, mit dem wir dorthin fuhren. „Ich bin ready!“, hörte ich eine bekannte Stimme ausrufen. Ich drehte mich um und sah, wie Nemanja um die Ecke bog und auf uns zukam. Freudig grinste ich den alten Bekannten an. Damals, als ich für sechs Wochen in Serbien war, hatte ich den Nachbar-Jungen kennen gelernt. Er studierte dort und zu meinem Glück auch Deutsch. Er schien noch gebräunter zu sein, als ich ihn in Erinnerung hatte. Seine dunklen Haare waren etwas länger und wuschelig. „Was machst du denn hier?“, fragte ich erstaunt. „Dein Stiefvater hat mich um Hilfe gebeten. Wir müssen zwei Autos abholen“, erklärte er.

Wir holten die Autos ab und fuhren in der Nacht zurück. Die Autobahn gehörte uns. Ich konnte nicht fassen, dass ich in einem teuren Mercedes saß und fahren durfte. So machte Auto fahren wirklich Spaß! Damit uns drei nicht langweilig wurde, unterhielten wir uns mit einer Freisprechanlage. Sasha fuhr vor uns, ich in der Mitte und Nemanja hinter mir. Die Dunkelheit machte uns nichts aus. Ich bemühte mich nur, nicht allzu müde zu werden. „Na ist schon ein Unterschied mit einem Mercedes zu fahren, ne?“, fragte Sasha durch die Anlage. Man hörte sogar das Grinsen, welches er bestimmt im Gesicht hatte. Ich lachte kurz. „Hey, klar ist das geil aber sag nichts gegen mein Auto!“, warnte ich ihn spielerisch. „In Deutschland habt ihr echt super Autos“, stellte Nemanja begeistert fest. Er schaltete die Lichthupe hinter mir ein, um seine Aussage zu bekräftigen. „Hey, Jungs? Kann ich mal kurz durchziehen?“, fragte ich und zog nach links, ohne auf eine Antwort zu warten. „Wer hat denn da die Formation verlassen?“, wollte Nemanja lachend wissen. „Klar, aber höchstens 5 Kilometer, dann bremst du ab“, sagte Sasha. Grinsend trat ich auf das Gaspedal und staunte nicht schlecht, wie schnell dieser Wagen beschleunigte. Die Geschwindigkeit drückte mich etwas in den Sitz und genauso mochte ich es. Mein Auto würde bei so einer Tacho-Zahl vermutlich auseinander fallen, deshalb genoss ich es. Doch weit kam ich nicht. Eine dichte Nebelwand breitete sich über der Autobahn aus und ich bremste schon nach wenigen Kilometern ab. „Jungs, der Nebel ist heftig“, warnte ich die Beiden hinter mir. Sasha überholte mich und ich ordnete mich hinter ihm ein. „Scheiße, man sieht ja gar nichts mehr“, bemerkte Nemanja erstaunt. „Bleibt hinter mir und orientiert euch an den Seitenlinien“, hörte ich Sasha sagen. „Aber verdammt…selbst das ist schwer!“ Ich erkannte, was er meinte. Vor der Windschutzscheibe sah man nur noch weiße Wolken. Sogar die Seitenstreifen konnte man kaum erkennen. Die Rücklichter von Sashas Wagen konnte ich auch kaum erkennen. Wir bremsten stark ab und fuhren langsam weiter. „So können wir drei Tage fahren, wenn es so weiter geht“, meldete sich Nemanja zu Wort. „Hier in der Nähe ist eine Raststätte. Wir machen da Pause, bis der Nebel weg ist“, wies Sasha uns an.

Wir setzten uns in ein Bistro neben einer Tankstelle und warteten. Dabei tranken wir Kaffee, sprachen über die alte Zeit in Serbien und lachten viel. Obwohl die Sonne bald schon aufging, war ich nicht müde. So ein Road-Trip machte richtig Spaß! Wir saßen an einem Tisch und beobachteten das ein oder andere Auto, welches auf der Autobahn auftauchte und an uns vorbei raste. „Für ein Mädchen fährst du ziemlich gut“, gestand Nemanja und zwinkerte mir zu. Ich streckte ihm die Zunge raus. „Das Kompliment kann ich nur zurück geben“, konterte ich danach. Er stieß mich spielerisch gegen die Schulter. Irgendwann fuhren wir dann weiter. Der Nebel hatte sich gelichtet und es waren jetzt mehrere Autos auf den Straßen. Hinter den Bäumen, am Rand der Autobahn, konnte man sehen, wie die Sonne langsam aufging. Ein rötliches Licht erhellte den Himmel. „Seht euch den Himmel an“, hauchte ich erstaunt in die Freisprechanlage. „Wunderschön“, bestätigte Nemanja. Er fuhr immer noch hinter mir und Sasha vor mir. Sasha kannte nun einmal den Weg, deshalb dachte keiner von uns daran zu überholen und alleine weiter zu fahren. „Konzentriert euch auf die Straße, Mädels“, scherzte Sasha und lachte. „Sehr lustig, Mann“, meinte Nemanja genervt. So fuhren wir weiter. Es gab nur uns und die Straße. Das Geräusch des Motors beruhigte mich immer mehr. Wenn ich Auto fuhr, konnte ich den ganzen Mist meines Lebens vergessen. Selbst, wenn es nur für einige Meilen war, es lohnte sich. Außerdem liebte ich den Geruch von Benzin am Morgen.

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