Donnerstag, 29. September 2016
Hobby-Psychologin
,,Meinst du, es würde mich umbringen, hier runter zu springen?", fragte mich meine Freundin Leah, als sie sich über das Geländer meines Balkons lehnte. ,,Vermutlich, wenn du mit dem Kopf zuerst aufkommst", antwortete ich matt und nippte an meinem Kaffee. Mein Kaffee-Konsum war eindeutig in die Höhe gegangen, seitdem meine Freunde beschlossen hatten, mich als Psychotherapeutin einzusetzen. Das machte mir nichts aus, denn es lenkte mich von meinem Leben ab. Leah würde nicht springen. Das wusste ich. Menschen, die wirklich springen möchten, die reden nicht lange darüber...die machen es einfach. Wieso auch reden, wenn das Leben sowieso keinen Sinn mehr macht?
Die Sonne ging grade unter und dunkle Schatten warfen sich auf die Straße vor meiner Wohnung. Ich achtete nicht darauf, sondern musterte Leah, die echt krank aussah. Ihre hellblonden Haare waren kaputt und strohig. Sie hatte versucht einen schönen Zopf zu binden aber man erkannte das Kaputte trotzdem. Ihr Gesicht war blass und fleckig, vermutlich weil sie wenig geschlafen und dafür viel geheult hatte. Generell war sie mager geworden, sodass ihre Klamotten viel zu groß wirkten. Schon wieder stellte ich mir insgeheim die Frage, ob Liebeskummer einen umbringen konnte.
Leah starrte noch etwas auf den Wald, der sich hinter den Häusern erstreckte, dann setzte sie sich zu mir an den Tisch und nahm ihre Kaffeetasse. ,,Was kann ich tun, um die Beziehung zu retten?", fragte sie, während sie den Kaffee anschaute. Vermutlich würde die braune Flüssigkeit nicht antworten, deshalb beschloss ich die richtigen Worte zu finden. Zugegeben, aufgrund meiner vielen Beziehungsprobleme der letzten Jahre war ich etwas schroffer geworden. Ich sprach nur noch die eiskalte Wahrheit aus, weil die Menschen sie hören mussten. Es brachte nichts, drum herum zu reden. Jeder weiß, dass alles ein Ende hat.
,,Das ist die falsche Frage", unterbrach ich die Stille. ,,Die Frage müsste lauten, was könnt ihr tun. Alleine kann man keine Beziehung retten." Leah stellte ihre Tasse auf den Tisch und schaute mich mit feuchten Augen an. ,,Ich würde aber alles für meine Beziehung tun! Wirklich alles! Ohne...ohne würde ich mich umbringen. Ja, ich bin vielleicht schon Tod", stotterte sie weinerlich. ,,Bist du nicht...du lebst. Das fühlt sich nur so an, weil du dein ganzes Leben auf diese Beziehung aufgebaut hast. Du denkst, du bist nichts ohne deinen Partner. Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem du dir eingestehen musst, dass du immer noch der gleiche Mensch bist, nur ohne den Partner, der dich die ganze Zeit eingesperrt hat", stellte ich fest, als würden wir über das Wetter reden. Das Gefühl des Liebeskummers bohrte sich durch meine Hautschichten. Ich durfte nicht zulassen, dass ich es zu nah an mich heran ließ. Überrascht über meine emotionslose Rede, sah mich Leah nicht mehr an und schluckte. ,,Wow, ich brauche Alkohol", flüsterte sie. ,,Nein, du musst lernen mit dem Gefühl zu leben. Wenn du einmal anfängst es zu überschatten, wirst du immer eine Möglichkeit suchen, es so zu verdrängen. Ich kann dir einen Tee machen", bot ich an und gähnte. Diese Problem-Gespräche der letzten Wochen hatten mich wirklich müde gemacht. Leah verzog das Gesicht. ,,Ich hasse Tee."
Das wusste ich.
Wir unterhielten uns noch etwas und schauten anschließend einen coolen Actionfilm. Leah entspannte sich im Laufe des Abends und konnte zwischendurch sogar lachen. Da sie allerdings am frühen Morgen zur Arbeit musste, versuchten wir etwas früher schlafen zu gehen. Ich klappte mein Bett aus, machte ihr einen gemütlichen Schlafplatz, dann legten wir uns beide erschöpft hin.
Natürlich konnte sie kaum schlafen. Zwischendurch hörte ich sie weinen und jammern. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es mich kalt ließ. Leider nahm mich sowas immer noch mit. Als sie mitten in der Nacht einen starken Heulkrampf bekam, drehte ich mich zu ihr und wir redeten noch etwas, bis sie sich wieder beruhigt hatte. So ging das die ganze Nacht.
Irgendwann schlief ich ein...

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