Dienstag, 26. Juli 2016
Mein Sonntag
Wieder einmal so eine typische Dana-Schnapsidee. Ich hätte es vermutlich wissen müssen, dass dabei nie etwas sonderlich Gutes heraus kam, wenn Dana einen Abend mit Freunden plante. Skeptisch schaute ich auf den Zaun vor uns, hinter dem sich ein dunkler Wald befand. Zwischen den Baumkronen erkannte man ein altes, hohes Dach. So war das nicht geplant gewesen. „Du hast gesagt, dieser Ort wäre öffentlich“, wiederholte ich Danas Worte noch einmal. Dana war grade dabei ihren Rucksack über den Zaun zu werfen, damit sie besser klettern konnte. Es war fast Mitternacht und wir waren wieder an irgendeinem verlassenen Ort mitten in der Pampa. Dana zuckte unschuldig mit ihren Achseln und setzte einen süßen Blick auf. Ihre grünen Augen funkelten in der Dunkelheit. „Ist doch öffentlich. So ein kleiner Zaun ändert daran nichts.“ Ohne zu zögern kletterte sie in die „verbotene Zone“. Zumindest war es eine verbotene Zone in meinem Kopf. Nick schaute seiner Freundin anerkennend zu und folgte ihr schließlich. Ausschließlich Jonah blieb neben mir stehen und lächelte unsicher. „Lady´s First“, meinte er dann und zeigte auf den Zaun, der fast komplett bewachsen war. Hoffentlich waren dort keine Dornen, an denen man sich schneiden konnte. Bei meinem Glück wäre ich die Erste, die sich damit aus versehen eine Ader aufschlitzen würde. Meine Nerven wurden immer angespannter. Wir alle waren komplett schwarz gekleidet und liefen mit Taschenlampen durch friedliche Dörfer. Wie das wohl für andere ausgesehen haben mag? Auf dem Weg hierher hatte man uns oft irritiert beäugt. „Das endet wieder in einer Katastrophe“, stellte ich genervt fest und folgte den roten Haaren von Dana. Damit sollte ich verdammt noch mal recht behalten. (…)
Der Wald war dicht bewachsen und stockdunkel. Ständig lief man gegen einen dicken Baumstamm oder kratzte sich die Knöchel an spitzen Ästen auf. Das Licht meiner Taschenlampe wurde immer schwächer. Bald würde sie den Geist aufgeben. Es dauerte nicht lange, dann ragte ein riesiges, altes Gebäude vor uns auf. Es sah aus, wie eine grausame Psychiatrie mit einer schrecklichen Vorgeschichte. Wir vier blieben stehen und musterten das Horrorhaus gründlich. „Das war einmal eine Schule“, klärte uns Dana begeistert auf. „Oh, ich dachte eher an eine Psychiatrie“, gestand ich etwas enttäuscht. „Ist doch das Gleiche“, warf Nick ein und lachte. Dana war wieder in ihrer Welt und ich wusste, sie wollte dort hinein. Ohne ein Wort der Diskussion nahm sie Nicks Hand und ging auf das Gebäude zu. Weit kamen sie nicht, denn dann kam das Bellen.
Große Hunde knallten gegen einen Zaun, direkt neben der alten Schule. Dort befand sich eine kleine Hütte, in der das Licht anging, als die Hunde ihr Konzert veranstalteten. Kreischend sprang ich zur Seite und leuchtete die Hunde an. Es waren mindestens fünf Hunde, die allesamt groß und dunkel waren. Mit gefletschten Zähnen warteten sie nur auf eine Möglichkeit den Zaun zwischen uns verschwinden zu lassen. „Scheiße, verstecken wir uns hinter den Sträuchern!“, rief Jonah. Alle setzten sich schnell in Bewegung und machten, was er sagte.
Ich sah entsetzt in Danas Richtung, die sich an Nick klammerte, wie ein Affe an einem Bananenbaum. „Du hast gesagt, der Ort hier ist verlassen!“, flüsterte ich wütend. „So stand es im Internet!“, stellte sie verwirrt fest. Super. Wer wusste schon, wer dort wohnte? Man hörte lautes Fluchen aus der Hütte, während die Hunde immer lauter wurden. Ein heftiger Knall ließ mich zusammenzucken und aufschreien. Jonah kam neben mich und drückte mir seine Handfläche auf den Mund. „Pssst…ich glaube, er kommt raus.“ Eine Holztür wurde geöffnet. Man hörte das knarzen noch als Echo im Wald. Schwere Schritte stampften heraus. „Was habt ihr gesehen? Ist hier wieder so ein Gesindel?!“, keifte eine tiefe Männerstimme anscheinend die Hunde an. Wer war der Typ und wieso wohnte er hier? „Hey! Ich lasse gleich die Hunde raus oder erschieße euch! Ich habe die Schnauze voll von so einem Pack! Das hier ist mein Grundstück!“, brüllte der Mann in unsere Richtung. Hatte er uns bereits gesehen? Ein Schlüssel war zu hören. „Er öffnet das Tor für die Hunde!“, bemerkte Dana entsetzt, als sie um die Ecke der Sträucher sah. „Wir müssen rennen. Jetzt!“, wies Nick uns an. Alle nickten zustimmend und rannten los. (…)
Die Hunde waren zu schnell. Wir würden es nicht schaffen, das war klar. Nervös bahnten wir uns einen Weg durch den dichten Wald. „Es tut mir so leid“, sagte Dana schon zum gefühlt hundertsten Mal. Außer unseren schweren Atemzügen konnte man die Pfoten hören, die immer näher kamen und das Knurren, dass immer aggressiver wurde. Diese Tiere sahen nicht aus wie Hunde, sondern wie Bären. „Wir haben es gleich bis zum Zaun geschafft. Haltet durch“, ermutigte uns Jonah motiviert. „Ich hab eine Idee!“ Mir ging ein Licht auf. Aufgeregt warf ich meinen Rucksack von meinen Schultern und zog eine Deodorant-Dose hervor. Alle blieben stehen und schauten neugierig zu mir. „Nick? Kann ich dein Feuerzeug haben?“, fragte ich ihn. Seine Hand musste schon ganz blau sein, so stark hielt sich Dana an ihm fest. Nick schien zu begreifen, was ich vorhatte und warf es mir zu. Ich fing es auf und wartete. Die Hunde würden uns bald erreicht haben. „Lauft weiter! Ich komme nach“, sagte ich entschlossen und suchte mit meinen Augen die Dunkelheit ab. Dana und Nick liefen weiter, Jonah blieb bei mir und leuchtete mit seiner Taschenlampe auf die Baumstämme, um mir zu helfen. Plötzlich tauchten die Hunde auf. Da ich ihnen nicht weh tun wollte, sprühte ich den Deo-Strahl neben ihre Körper und hielt das Feuerzeug davor. Die kleine Flamme des Feuerzeugs vermischte sich schlagartig mit den Chemikalien im Deo. Bald darauf entfachte ich einen langen Feuerstrahl, der die Hunde so sehr erschreckte, dass sie erst jaulten und dann den Rückzug antraten. (…)
Auf dem Rückweg hielten wir an einer verkommenen Raststätte. Dort setzten wir uns an einen kleinen Tisch und schlürften stumm an unseren Kaffee-Bechern. Ein älterer Mann saß alleine an der dreckigen Kasse. Das Lokal war unangenehm hell beleuchtet und kahl. Außerdem hatte der Mann die Klimaanlage auf der höchsten Stufe, denn die Raumtemperatur erinnerte mich an das innere eines Kühlschranks. Wir trugen alle dünne und kurze Sachen, weil draußen Hochsommer-Temperaturen herrschten. Da blieb eine Gänsehaut nicht aus. Dana trank kaum aus ihrem Becher. Sie starrte nur auf den modrigen Tisch. „Immer, wenn ich etwas plane, geht es schief. Es tut mir so leid. Das hätte auch anders enden können.“ Nick legte seinen Arm um ihre Schultern und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Peinlich berührt sah ich weg, denn die Szene erschien zu intim für meine Augen. Jonah lächelte mich von der Seite an. „Danke, das du mir grade geholfen hast“, fiel mir wieder ein. „Klar, wir sind doch quasi eine Familie. Außerdem habe ich es meinem Cousin versprochen. Ich meine, auf dich aufzupassen“, gestand Jonah ehrlich. Komisch, dabei hatte Noah sich doch dermaßen von mir distanziert. Ich wollte nicht daran denken, weshalb ich mich wieder Dana zu wandte. „Es war aufregend, wie immer. Du musst dich nicht so oft entschuldigen. Es ist nichts passiert“, stellte ich aufrichtig fest und lächelte sie an.
Naja, der Abend gehörte definitiv nicht zu meinen Lieblingsabenden aber dafür hatte ich einige Stunden vor dem Abenteuer einen schönen Morgen. (…)
Am selben Tag, noch in den Morgenstunden, lag ich neben Marvin im Bett und schlummerte tief und fest. Ich hatte wieder einen dieser realen Träume. Dabei stand ich einfach nur in seinem Zimmer, quasi als dritte Person, und schaute mir selbst und Marvin beim schlafen zu. Er trug nur seine engen Shorts und kuschelte sich grade in eine dünne Decke. Ich trug blau karierte Schlafshorts und ein hellblaues Top. Wir beide sahen so friedlich aus, wenn wir schliefen. Als wäre die Welt perfekt, für uns. Meine braunen Haare waren geflochten und hingen zerzaust in alle Richtungen, während mein Kopf sich in das Kissen drückte. Komisch, dort zu stehen und mir selbst beim schlafen zuzugucken. Zeynep tauchte neben mir auf. Auch, wenn sie im wahren Leben nicht mehr unter uns war, für mich lebte sie noch immer. In meinen Träumen. Sie trug ein weißes Nachthemd, war barfuß und ihre schwarzen Haare hingen glatt über die linke Schulter. „Du bist glücklich mit ihm, oder?“, fragte sie mich. „Ja“, ich sah nochmal zu Marvin. „Ich möchte, wie ein Engel für ihn sein und ihm helfen sein Leben zu genießen. Er soll sein Potenzial ausschöpfen können.“ Zeynep lächelte schief und musterte ihn ebenfalls nachdenklich. „Du hast schon viel für ihn getan“, stellte sie fest. „Sei ein Engel für ihn, du kannst das. Ich spüre, dass er dich bereits liebt.“ Das hatte ich auch schon gespürt aber es war schön, es nochmal von Zeynep zu hören. „Weißt du, wie ich ihm noch helfen kann?“, wollte ich von ihr wissen und suchte jetzt ihren Blick. Ihre dunklen Augen kannten die Wahrheit. Mit klarem Blick starrte sie direkt in meine Seele. „Du hilfst ihm, indem du ihm das gibst, was alles heilen kann. Liebe.“ (…)
Plötzlich lag ich im Bett und hatte Marvins Rücken vor mir. Anscheinend war ich wach. Vorsichtig schlang ich mich von hinten an Marvin, der dadurch ebenfalls wach wurde. „Lass mich bitte nie wieder los“, nuschelte er müde. Ok, ich versuchte es. (…)

... link