Samstag, 11. Juni 2016
Meine Hölle
Ich klopfte an die Türe. Ich war jung und verzweifelt. Doch was mich am meisten in diese Richtung zog, war die Einsamkeit. Meine Familie behandelte mich, wie eine Ausgestoßene. Mit meinen zarten 13 Jahren wollte ich einfach nur irgendwo dazugehören. Zeynep öffnete die Haustüre und strahlte mich freudig an. „Cool, dass du doch noch gekommen bist. Dann kannst du meine Freunde kennen lernen“, sagte sie begeistert. Unsicher trat ich von einem Fuß, auf den anderen. Damals hatte ich wenig Selbstbewusstsein und hasste es, als eine Fremde in eine neue Gruppe zu kommen. Dennoch ging ich hinein und folgte Zeynep durch den großen Flur. Ihre Familie hatte ein atemberaubendes Haus. Vielleicht konnte man es sogar Villa nennen. Aus dem Wohnzimmer drang schon leise Musik und lautes Gelächter. Wir betraten den Raum und alle verstummten. Dort sah ich alle, das erste Mal. Kürsad und Christian saßen auf der riesigen Couch an einer Shisha. Kürsad pustete grade eine Rauchwolke aus seinem Mund. Dana saß auf dem Boden. Sie hatte ihre Beine übereinander geschlagen und beäugte mich neugierig. Es waren noch weitere Jungs im Raum aber an viele kann ich mich heute nicht mehr erinnern. Die Ozean-blauen Augen von Noah fielen mir als erste auf. Er stand an der Wand neben der imposanten Couch und sah mich…abfällig an. „Fühl dich wie zu Hause und vergiss deine Familie. Sie sind es nicht wert“, flüsterte mir Zeynep ins Ohr und ging an mir vorbei. Sie setzte sich auf Christians Schoß, der direkt eine Hand auf ihren Oberschenkel fallen ließ. „Du kannst dich zu mir setzen“, meldete sich Dana zu Wort und klopfte auf den Boden neben sich. Erleichtert ging ich auf sie zu und setzte mich, nachdem ich mich vorgestellt hatte. „Wer hat denn die Kinder rein gelassen?“, fragte Noah belustigt und sah mich provozierend an. Wie ich ihn zu der Zeit gehasst habe…er wirkte eingebildet und obwohl er zu der Gruppe gehörte, stand er immer am Rand. Die Jungs fingen an zu lachen. Das konnte ich mir nicht bieten lassen. „Das habe ich mich auch grade gefragt“, gab ich zurück und sah Noah bissig in die Augen. Jetzt lachten die Jungs noch lauter. Noah wirkte etwas überrascht und schaute mich mit einer hoch gezogenen Augenbraue an. „Die Kleine ist frech. Das mag ich“, meldete sich Kürsad zu Wort und musterte mich. Irgendwas an Kürsad zog mich einfach an. Diese Menschen waren neu für mich. Sie gaben mir Halt und ein Rudel-Gefühl. Ich gehörte jetzt zu jemandem und war nicht mehr alleine. Sie wurden meine Familie.

Das erste Jahr mit Kürsad und den anderen war super, denn ich fing an mich besser zu fühlen. Die Probleme mit meiner Familie wurden dadurch in den Hintergrund gerückt. Doch dann zeigte Kürsad immer mehr sein wahres Gesicht…und ich erkannte das Monster.
Schlimm genug, dass ich auf der Party keinen kannte. Doch plötzlich komplett alleine zu sein, machte es noch schlimmer. Kürsad hatte mich schließlich mitgenommen und plötzlich war er verschwunden. Es war eine Hausparty von seinem Kumpel und es waren hauptsächlich Jungs anwesend. Je mehr sie tranken, desto aufdringlicher wurden sie. Ich stand im Wohnzimmer und schaute raus in den großen, dunklen Garten. Ich hätte mir ein längeres Kleid anziehen sollen, denn mir wurden unzählige, ekelhafte Blicke zugeworfen. Ich versuchte diese zu ignorieren. Plötzlich erkannte ich Noah im Garten, der hinter großen Bäumen verschwand. Der Garten grenzte an einen Wald. Noah würde bestimmt wissen, wo sich Kürsad befand. Also öffnete ich die Terrassen-Türe und rannte hinaus. Dabei stolperte ich immer wieder, denn man konnte echt nichts sehen. Ich erreichte die Bäume und bahnte mir einen Weg durch die Sträucher. Bis ich Stimmen hörte. Eine Gruppe Jungs stand mitten im Wald. Ich konnte ihre Umrisse deutlich sehen und erkannte Kürsad sofort. „Was macht die hier?“, fragte Noah genervt und sein Kopf drehte sich in meine Richtung. „Askim, du solltest doch im Haus bleiben“, stellte Kürsad mit komischer Stimme fest. Was machten die hier? Er kam auf mich zu und packte mich unsanft an meinem Oberarm. Dann zerrte er mich durch den Wald, hinaus in den Garten, wo das Licht aus dem Haus in sein Gesicht strahlte. Seine Augen waren blutunterlaufen. „Du hast Drogen genommen?“, hauchte ich entgeistert. „Kiffen, Tabletten und Alkohol sind ne geile Mischung, Askim“, bestätigte er meine Vermutung. Er strich mir über die Arme und kam immer näher. Ich stieß ihn leicht weg. „Du bist nicht normal…lass das“, sagte ich angewidert. Er nahm mein Gesicht in seine zitternden Hände und drückte seinen Mund auf meinen. Ich schmeckte den Alkohol und das ganze andere Zeug, welches er sich rein gepfiffen hatte. Erneut drückte ich ihn weg. „Weißt du, eine Frau muss dem Mann gehören. Und du gehörst mir“, lallte Kürsad. „Ich gehe jetzt wieder zu den Jungs und du wartest hier.“ Er entfernte sich von mir aber ich hielt ihn fest. „Lass uns nach Hause gehen“, flehte ich und Tränen bildeten sich in meinen Augen. „Lass mich nicht alleine.“ Ich wollte nicht alleine unter diesen Jungs sein. Brutal zog er seinen Arm weg und ging weiter. „Mach, was ich dir sage, Askim.“ Empört blieb ich stehen und sah, wie er hinter den Bäumen verschwand. Ich erkannte diesen Menschen nicht mehr wieder. Noah tauchte hinter einem Baum auf und kam auf mich zu. Die Hände tief in seinen Hosentaschen, blieb er vor mir stehen und schaute mich nachdenklich an. „Ich bringe dich nach Hause“, sagte er entschieden. „Ich muss hier warten“, entgegnete ich mit heiserer Stimme. Es wurde kalt und dem Kleid fror ich enorm. „Das ist doch Schwachsinn! Komm, jetzt“, befahl Noah und schob mich durch das Haus und dann war ich endlich draußen.

Ich beschloss in der Wohnung von Kürsad und seinem großen Bruder zu warten, bis sie nach Hause kommen würden. Obwohl ich total müde war, saß ich im Wohnzimmer auf der Couch, als ich hörte, wie die Wohnungstüre geöffnet wurde. Kürsad taumelte ins Wohnzimmer und sah mich seltsam an. „Du hast mich da alleine gelassen, Frau!“, brüllte er sauer. Er kam auf mich zu, packte mich an den Haaren und zog mich hoch. „Wo ist was zu essen?“ Meine Kopfhaut fing an höllisch weh zu tun. „Lass mich los…“, jammerte ich ängstlich und schüttelte mich ab. Kürsad holte direkt aus und traf mich am Auge. Mir war sofort klar, dass es einen blauen Fleck hinterlassen würde. „Eine Frau muss dafür sorgen, dass der Mann immer satt ist. Egal wie spät es ist, Askim. Du wirst für den Mann kochen und ihn glücklich machen!“, befahl er mir. Ich traute mich nichts mehr zu sagen. Stattdessen ging ich aus dem Raum, in die Küche. Mit zitternden Händen begann ich zu kochen, während der Teufel höchst persönlich im Wohnzimmer auf mich wartete.

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