Donnerstag, 11. Februar 2016
Natürlich
Der Wecker klingelte wahrscheinlich schon zum dritten Mal, als Noah ihn endlich abstellte. Ich machte mir gar nicht die Mühe meine Augen zu öffnen, sondern gähnte nur und drehte mich auf die andere Seite. "Scheiße", fluchte er leise und sprang aus dem Bett. Ich wollte gar nicht wissen, was los war. So müde war ich schon lange nicht mehr. Ich wollte nur schlafen.
"Steh auf! Wir haben schon 7 Uhr und ich muss dich noch zur Schule fahren!", rief er, während er im Flur und dann im Badezimmer verschwand. Ich rappelte mich langsam auf und schaute auf mein Handy. Es war tatsächlich schon zu spät, um noch pünktlich in der Schule zu erscheinen. Und tatsächlich hatte mein ehemals bester Freund nicht geschrieben. Verletzte es mich? Ja. Konnte ich es ihm übel nehmen? Natürlich, nicht. Ich bin erst mit ihm zusammen gekommen, um dann nach insgesamt zwei Wochen wieder Schluss zu machen. Zugegeben, die Erfolgsquote meiner Beziehungen war sehr gering aber das war selbst für mich ein neuer Rekord. "Du bist ja immer noch nicht angezogen!", rief Noah aus, als er mich immer noch im Bett sitzen sah. Wie lange saß ich schon da und starrte auf mein Handy? Ich sah ihn traurig an und legte meine Hand dramatisch auf meinen Bauch. "Ich kann nicht gehen! Ich habe Schmerzen. Können wir nicht einfach hier bleiben und uns ausruhen?", fragte ich jammernd und hoffte insgeheim, er würde wirklich zustimmen. Doch er schüttelte grinsend den Kopf. "Das kaufe ich dir nicht ab, Dramaqueen! Los jetzt, sonst denken die noch ich habe einen schlechten Einfluss auf dich", sagte er, beugte sich zu mir rüber und gab mir einen Kuss auf die Stirn.

Im Auto lehnte ich meinen Kopf gegen die Scheibe und versuchte nicht an vergangene Beziehungen zu denken. Es ging mir gut. Es ging mir wirklich gut. Noah fuhr und trällerte dabei "California Girls", was mich wirklich glauben lies, dass es mir gut ging.

Schmerz.
Er holt einen zurück, ob man will oder nicht. Kaum war ich zu Hause, fiel ich zu Boden. Es fühlte sich an, als hätte mir jemand ein Messer in den Magen gestochen. Ich bekam keine Luft und quälte mich ins Badezimmer, wo ich mich wie gewohnt übergeben musste. Zitternd krallte ich mich an das Waschbecken und kühlte mich mit Wasser ab. Es schien, als würde mich etwas von innen nach außen verbrennen wollen.
Er schrieb mir.
Mein ehemaliger bester Freund/ Exfreund schrieb mir.
Meine Hände zitterten, als wir schrieben und noch mehr, als wir uns zum quatschen treffen wollten. Würde Noah etwas dagegen haben? Wahrscheinlich. Konnte ich es ihm übel nehmen? Natürlich, nicht.

Wir sprachen intensiv miteinander, während ich Auto fuhr. Er saß auf dem Beifahrersitz und ich hörte ihm zu. Er sprach viel und auch viel schlaues aber insgeheim wusste ich, dass obwohl er so schlau ist, er mich nie verstehen würde. Ehrlich gesagt wusste ich auch nie, wie ich ihm meine Lage erklären sollte. Die Beziehung zwischen uns war zu perfekt, als dass ich mich auf sie einlassen konnte. Die Vorstellung mit ihm zusammen zu sein war so perfekt. Ich wollte nie etwas besitzen, dessen Verlust ich nicht ertragen würde. Warum ich Schluss gemacht hatte? Ich wusste es nicht. Das war meine Art, denn ich machte alles kaputt. Man sollte sich eben von emotional gestörten Menschen fernhalten, denn sonst wird man nur verletzt. Wir sprachen viel aber sagten nichts.
Als ich ihn zu Hause abgesetzt hatte, drehte er sich zu mir und stellte die Frage, vor der ich Angst hatte. "Liebst du mich?"
Autsch.
Was sollte ich sagen? Ja aber ich möchte das jemand endlich zeigt, dass er kämpfen kann? Es ist nicht fair, das von jemandem zu verlangen. Ich konnte das nicht sagen. Ich drehte mich bloß weg und sagte mit feuchten Augen: "Das Spielt keine Rolle mehr."
Er fasste es als ja auf und bald verabschiedeten wir uns voneinander. Er hatte nicht gekämpft.
Verletzte es mich? Auf jeden Fall. Konnte ich ihm das übel nehmen? Natürlich, nicht.

Als ich wieder zu Hause ankam, saß Noah vor meiner Haustüre und starrte mich ausdruckslos an.
"Du bist wieder mit ihm zusammen", sagte er schroff und stand auf. Oh, nein. Ich blieb stehen und wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich schüttelte den Kopf und schaute auf meine Schuhe. Er kam näher aber hielt noch genug Abstand von mir. Es war schon dunkel aber ich konnte seinen enttäuschten Blick klar und deutlich sehen.
"Aber du willst es", sprach er weiter und suchte meinen Blick. Es war, als hätte ich meine Stimme verloren.
"Gut, pass auf. Du weißt, ich war bis jetzt immer für dich da aber ich kann das so nicht mehr lange."
Er sprach aber ich wusste einfach nicht mehr, was ich sagen sollte. Es schien, als hätte jemand die Welt angehalten und ich wäre irgendwo in der Matrix eingefroren. "Liebst du mich?", fragte er und zwang mich ihn anzusehen. Na toll.
Anders als vorhin konnte ich ihn ansehen. In die ozeanblauen Augen, die mich oft zum lachen brachten.
"Können wir weg fahren? Einfach nur weg?", fragte ich leise und hoffte das Thema abwenden zu können. Wenigstens für heute Abend.
Es dauerte eine Weile aber dann nickte er stumm.
Hatte ich ihn verletzt? Offensichtlich. Konnte man mir das übel nehmen? Natürlich.

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