Mittwoch, 5. Oktober 2016
Nichts.
Der Tag war ohnehin schon mehr schlecht, als recht. Marvin war für eine Woche im Urlaub und meine Großeltern hatten beschlossen, bei meiner Mutter zu schlafen. Also würde ich die Wohnung wohl für mich alleine haben…auch nachts. Das beunruhigte mich, vor allem, wenn ich länger darüber nachdachte. Mich konnte man momentan einfach nicht alleine lassen. Dann passierten jedes Mal schlechte Dinge.
Trotzdem fuhr ich alleine von Mama fort, um nach Hause zu gelangen. Es war bereits dunkel und ich musste eine lange Strecke über Feldstraßen und Autobahnen zurücklegen. Ab und zu kam ein leichter Schauer herunter, welcher die ausgetrocknete Straße glatt werden ließ. Zusammengefasst: Es waren nicht die besten Aussichten, um eine lange Strecke zu fahren.
Wieso ich nicht bei meiner Mutter blieb? Das Verhältnis zwischen uns war nach wie vor eisig und Luna, mein Kaninchen, wartete zu Hause auf ihr Essen. Außerdem musste ich doch lernen alleine klar zu kommen. Etwas nervös startete ich den Motor und fuhr los.
Da es sehr kalt war, schaltete ich die Heizung an und konzentrierte mich anschließend wieder auf die Straße. In der absoluten Dunkelheit war es besonders schwer, über den Lichtkegel meiner Scheinwerfer hinaus etwas zu erkennen. Angestrengt lehnte ich mich mehr nach vorne, damit ich den Straßenverlauf richtig wahrnehmen konnte. Leichter Nebel spielte mit dem Licht meines Autos.
Irgendwann nahm ich einen Wald wahr, der mich einkreiste und plötzlich fühlte ich mich besonders einsam. Kein Auto war mehr zu sehen. Es gab nur noch mich und den dunklen Wald. Ich schluckte schwer, versuchte aber meine Angst zu vertreiben. Deshalb schaltete ich mein Radio an und begann schwach mitzusingen.
Nach einigen Minuten ratterte der Motor seltsam, bis er schließlich ganz aus ging. Da stand ich also…mitten in der Pampa und mein Auto bewegte sich keinen Zentimeter nach vorne. (…)
Panisch drehte ich meinen Schlüssel herum, betete der Motor würde wieder seine gewohnten Geräusche machen. Nichts.
Ich ließ mich in den Sitz fallen und sah durch die Scheiben. Um mich herum war nur Wald. Keiner würde mir hier helfen können. Mit zitternden Händen griff ich nach meinem Handy. Jedoch hatte ich kaum noch Akku und was noch schlimmer war, keinen Empfang.
Die Technik lässt einen immer im Stich, wenn man sie am meisten braucht. Um mein Auto zu schonen, schaltete ich die Scheinwerfer aus und nahm meinen Schlüssel heraus.
In dem Moment bemerkte ich erst, wie dunkel es wirklich war. Es war, als würde ich in einem schwarzen Loch sitzen. Wenn man aus den Scheiben blickte, erkannte man nur die Schwärze, die bedrohlich erschien. Eins stand fest: Ich konnte dort nicht sitzen bleiben. Die Kälte drang sich wieder in mein Auto und bald schon würde mein grauer Mantel auch nichts mehr bringen. Ich musste Hilfe suchen.
Entschlossen verließ ich mein Auto und betätigte die Lampe an meinem Handy. Dadurch konnte ich immerhin etwas sehen. Mit wackeligen Füßen ging ich um mein Auto herum und erkannte einen schmalen Waldweg. Dieser konnte mich überall hinführen, das war mir bewusst. Aber wohin sollte ich sonst? So würde ich wenigstens auf einem Weg gehen, der extra für Fußgänger hergerichtet wurde. Vielleicht führte er mich zu jemand, der mich helfen würde. (…)
Je tiefer ich in den Wald ging, desto dunkel wurde es. Irgendwann hörte man noch nicht einmal den Wind, der durch die Blätter wehte. Man hörte nur noch meine schwere und panische Atmung. Was, wenn ich mich im Wald verlaufen würde? Was, wenn ich sterben würde? Das Gehirn malt sich schon manchmal kranke Sachen aus. Tatsächlich musste ich nicht allzu weit laufen, da stand ich vor einer Art Motel, welches auch ein Restaurant führte. Sofort dachte ich an unzählige Horrorfilme, die in alten Motels gedreht wurden. Deshalb entschied ich mich für das Restaurant, welches auch noch beleuchtet war. Ich öffnete eine breite Glastür und befand mich danach in einem großen Raum. Der Raum war asiatisch geschmückt, mit vielen Verzierungen an den Wänden. An einer Wand stand ein Tresen, an dem ein asiatischer Mann stand und grade seine Schürze ablegte. Er drehte sich zu mir, lächelte und kam auf mich zu. „Wir geschlossen“, sagte der Mann mit einem sehr starken Akzent, sodass ich ihn kaum verstand. „Oh nein, ich möchte nichts essen. Mein Wagen ist liegen geblieben und ich muss mal telefonieren. Ich weiß nämlich auch gar nicht, wo ich bin“, erklärte ich meine Situation, so deutlich wie nur möglich. „Auto kaputt?“, fragte der Mann bedauerlich. Ich nickte zur Bestätigung. „Du warten hier“, wies er mich an und deutete auf einen schön hergerichteten Tisch, mit zwei Stühlen. Zuerst wollte ich ihm noch einmal deutlich machen, dass ich bloß ein Telefon brauchte. Doch dann setzte ich mich einfach auf einen Stuhl, während er hinter einer Tür verschwand. Na toll.
Aus Langeweile schaltete ich mein Handy an und stellte fest, dass ich etwas Empfang hatte. Hektisch rief ich die erste Person an, die mir helfen könnte.
„Dana! Du musst mir helfen! Ich habe eine Autopanne mitten in der Pampa. Ich weiß echt nicht wo ich bin, oder was ich machen soll…“, begrüßte ich sie aufgebracht. „Ok, beruhig dich erst einmal. Kannst du mir deinen Standort schicken? Ich suche jemanden, der mich zu dir bringt“, sprach Dana entschieden. Es tat echt gut eine bekannte Stimme zu hören. „Ich probiere es. Hab wenig Empfang“, bemerkte ich, nahm mein Handy vom Ohr und sendete meinen Standort an Danas Nummer. Erleichtert atmete ich durch, als es gesendet wurde. „Hab es geschafft!“, rief ich in den Hörer. „Gut. Dann warte dort…es könnte aber etwas dauern“, meinte Dana und legte auf.
Als ich mein Handy auf den Tisch legte, begann es wieder in meinen Ohren zu rauschen. So ging das schon den ganzen Tag. Das Rauschen wurde immer lauter, sodass ich mein Gesicht verzehrte. Eine Frau kam aus der Tür raus, in der der Mann zuvor verschwunden war. Vermutlich war es seine Frau. Sie hatte ebenfalls schwarze Haare und eine Schürze an. Und ich konnte mir die Beiden gut als Paar vorstellen.
Sie blieb neben meinem Tisch stehen und hielt mir eine goldene Verpackung hin. „Glückskeks? Du vielleicht brauchen Glück“, sprach die Frau mit einem noch stärkeren Akzent. „Nein, nein danke“, sagte ich und schüttelte mit dem Kopf, um meine Worte zu unterstreichen. Verstanden sie mich überhaupt? Naja, ich musste ja nur auf Dana warten. „Nehmen, nehmen.“ Die Frau ließ nicht locker und legte den verpackten Keks auf den Tisch. Missmutig griff ich danach, lächelte sie schließlich doch höflich an und öffnete die Verpackung. Ein typischer, chinesischer Glückskeks kam zum Vorschein, den ich in der Mitte durchbrach. Ich zog den kleinen Zettel heraus, auf dem immer eine Botschaft stand, und hielt ihn dicht vor mein Gesicht, damit ich die kleinen Buchstaben entziffern konnte.
>>Mit Überlegung und Einfühlsamkeit kommen sie bestimmt sicherer ans Ziel. <<
Schmunzelnd las ich mir den Satz ein zweites Mal durch und wünschte mir dabei, wirklich sicherer ans Ziel zu kommen. Nämlich nach Hause.
Während ich an meinem Keks knabberte, kam der Mann zurück. In der Hand hielt er eine kleine Werkzeugkiste. „Ich Auto reparieren“, sagte der Mann freundlich und grinste mich an. „Kommen mit.“ Meine Alarmglocken gingen an. So verzweifelt war ich auch nicht, dass ich mit einem fremden Mann in einen dunklen Wald gehen würde. „Ich kommen auch mit, damit keine Angst“, mischte sich die Frau ein, als sie meinen Gesichtsausdruck sah. Zögernd stand ich auf und folgte ihnen nach draußen. (…)
Der Mann gab meinem Auto Starthilfe und schon bald konnte ich weiter fahren. Natürlich, nachdem ich mich reichlich bedankt hatte und Dana anrief, um abzusagen und mich ebenfalls zu bedanken. Die dunkle Straße gehörte wieder mir.
Ich beschloss Marvin anzurufen und mit einem Kopfhörer im Ohr zu telefonieren, damit ich mich nicht wieder so alleine fühlte. Glücklicherweise hob er ab und erzählte mir ein wenig von seinem Urlaub. Das beruhigte mich etwas.
Doch unser Telefonat sollte nicht lange gehen, denn als ich um die nächste Ecke bog, verlor ich wieder mein Signal. Jammernd griff ich nach meinem Handy und wollte Marvin erneut anrufen aber dabei fiel es mir auf den Boden, zwischen die Pedale. Erschrocken schaute ich nach unten und als ich mein Handy nicht sah, wieder durch die Windschutzscheibe. Eine dichte Nebelwand erhob sich plötzlich aus der Dunkelheit und verschlang mich. Verzweifelt bremste ich ab. Man erkannte noch weniger, als vorher. (…)
Nach einigen Stunden kam ich zu Hause an. Tränen rollten mir über die Wange, während ich aus dem Wagen stieg und es abschloss. Zum einen, weil die panische Angst schwer auf mir gelastet hatte, zum anderen, weil ich erleichtert war, meine Wohnung zu sehen.
Erschöpft öffnete ich erst die Haustür und danach die Wohnungstür. Es war ein komisches Gefühl, in eine so leere Wohnung zu kommen.
Als Erstes schaltete ich die Lichter in jedem Zimmer an. Ich hatte echt genug von der Dunkelheit. Danach schrieb ich jedem, ich sei gut zu Hause angekommen. Die Details behielt ich hauptsächlich für mich.
Ich zog meine Schlafsachen an, wusch mich und kümmerte mich um Luna. Alles verlief endlich normal. Bis ich sah, wie das Licht im Schlafzimmer meiner Großeltern aus ging.
Ängstlich blieb ich stehen und starrte durch die offene Tür. Ich wusste, dass ich nicht alleine war. In der Dunkelheit des Zimmers konnte man eine Silhouette erkennen, eine Gestalt. Ich bekam eine Gänsehaut und fühlte mich, wie erstarrt. Man hörte eine Art Knurren, so, als würde mich dieses Wesen anknurren. Da fand ich meinen Mut wieder, rannte auf die Tür zu, um sie schnell zu schließen. Anschließend drehte ich den Schlüssel um, sodass das Schlafzimmer nicht mehr geöffnet werden konnte. Danach sprang ich einen Satz nach hinten, denn ich hatte Angst, dass das Wesen durch die Tür kommen würde. Nichts (…)

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