Samstag, 12. März 2016
Perfekt
Im Leben muss man positive Momente zulassen, sonst kann man sich direkt vergraben gehen. Die Schutzmauer um mich herum, wurde von Tag zu Tag stärker. Aber wollte ich das wirklich? Nicht an diesem Tag.
Ich zog mir ein schwarzes Cocktailkleid an, glättete meine Haare und kramte einen schicken Mantel aus dem Kleiderschrank. Heute würde ich wenigstens versuchen, normal zu sein. Irgendwie musste ich die Leere vertreiben.
Noah holte mich abends ab und auch er hatte sich ordentlich in Schale geworfen. Er trug zwar immer noch seine Jeans aber dazu ein schönes Hemd, das sich über seinen Oberköper spannte, als wäre es für ihn geschneidert worden.
Als er ausstieg, um die Beifahrertüre seines Autos zu öffnen, bedachte er mich mit seinem typischen „Du-bist-echt-scharf-Blick“. Ich konnte es nicht vermeiden, dass ich mit den Augen rollte, als ich mich ins Auto setzte. Sein Leben lief meistens auch nicht besonders gut, trotzdem blieb er immer Noah. Der Schmerz veränderte ihn nicht, er lieferte ihm nur noch mehr Stoff für neue Witze. Das musste echte Stärke sein.
Im Auto hielt er meine Hand, während wir durch die Nacht fuhren und bei meinen Lieblingsliedern mitsangen, die im Radio spielten. Immer wenn Noah englische Titel mitsang, hörte man seinen amerikanischen Akzent, den ich so mochte. Er behauptete jedes Mal, ich würde mich auch anhören, wie eine Amerikanerin aber das kaufte ich ihm nie ab.
Wir fuhren bald schon auf einen leeren Parkplatz mitten in einem Waldstück. Nie zuvor war ich dort gewesen. Es war dunkel, nur einige Laternen erhellten den Weg, der zu einer schmalen Brücke führte. Ich hasste die Dunkelheit aber wenn er meine Hand hielt, schienen meine Ängste unbegründet. Die schmale Brücke war beleuchtet und als wir auf ihr standen, funkelte der See unter uns. Ich blieb stehen und ging zum Geländer, um einen besseren Blick auf den See zu haben. Die Brücke war nicht hoch, weshalb es mir nichts ausmachte, so dicht an dem Rand zu stehen. Noah legte von hinten seine Arme um meine Taille. „Schau mal hoch, du wirst begeistert sein“, sagte er leise. Meine Augen blickten gen Himmel und ja, ich war begeistert. Der Himmel war wolkenlos und tausend Sterne funkelten uns entgegen. Das war ein Himmel, welcher mir wieder Hoffnung gab. Viel schöner, als in jedem Traum oder als jedes Gemälde auf der Welt. „Hast du das etwa bestellt?“, fragte ich scherzhaft. „Klar, der heutige Abend soll schließlich perfekt werden“, antwortete er entschlossen und nahm wieder meine Hand.
Wir gingen auf ein schönes Lokal zu, welches von außen nur leicht beleuchtet war. Im Lokal wurde die Beleuchtung nicht heller, es war eher ein schwaches und warmes Licht. Das verpasste dem Raum eine gemütliche und romantische Atmosphäre. Noah führte mich an einen kleinen Tisch am Fenster und nahm mir meinen Mantel ab. Noch nie zuvor hatte mir jemand den Mantel abgenommen. Das war zu romantisch, um wahr zu sein. Normalerweise hasste ich es, wenn es zu kitschig wurde aber an dem Tag passte es.
Wir saßen gegenüber von einander und studierten die Speisekarte. Das Lokal hatte zwei Etagen. Auf der unteren, auf der wir uns befanden, konnte man in Ruhe essen und trinken. Oben schien die Post abzugehen, denn von dort aus dröhnte laute Chartmusik.
„Woher kennst du diesen coolen Schuppen hier?“, fragte ich Noah neugierig. Er wohnte nicht mal in der Nähe von diesem Ort. „Google“, sagte er grinsend und zwinkerte mir zu. „Aber damit das hier ein super Abend wird, musst du dich an einige Regeln halten“, fügte er hinzu und legte die Karte auf den Tisch. „Die wären?“ Ich sah ihn fragend an. „Naja, zuerst möchte ich, dass wir über keine ernsten Themen sprechen. Also nichts aus der Vergangenheit. Ich möchte das hier und jetzt genießen. Wir reden nur über uns und bitte, rede auch wieder normal mit mir. Ich vermisse dich“, stellte er fest. Das waren alles Regeln, die ich sowieso befolgen wollte. Immerhin sollte die Leere endlich verschwinden, damit ich wieder zu mir fand. „Versprochen, keine ernsten Themen mehr“, sagte ich und fing wieder an die Karte zu lesen.
Der Kellner kam und wir bestellten zwei Cocktails und zwei Wraps mit Pommes.
Während wir warteten, ließ Noah meine Hand nicht los und ich konnte nicht aufhören zu lächeln. Wir unterhielten uns, bis unsere Bestellung kam. Das Essen sah köstlich aus und die Cocktails waren schön dekoriert. An den Strohhalmen hingen Leuchtarmbänder. Noah nahm mein Armband vom Halm und band es mir um mein Handgelenk. „Lila ist sogar deine Lieblingsfarbe“, stellte er fest, als er das Armband musterte, welches lila strahlte.
Wir aßen, lachten dabei und schlürften an unseren Cocktails. Mein Cocktail trug den Namen „San Francisco“, was mich auf ein Thema brachte. Der Kellner brachte grade unsere leeren Teller weg, als ich Noahs Blick suchte. „Sag mal, willst du eigentlich jetzt hier studieren oder fliegst du zu deinen Eltern?“ Noahs Eltern wohnten in Amerika. Wenn ich die Möglichkeit hätte auszuwandern, würde ich es sofort tun. „Hab ich nicht gesagt, keine ernsten Themen?“, gab er amüsiert zurück. „Es ist kein ernstes Thema und es geht um dich. Also ich würde gehen“, bemerkte ich nachdenklich. Wollte ich denn, dass er ging? „Ich weiß es ehrlich gesagt noch nicht aber wenn, dann könntest du mitkommen. Was hält dich noch hier?“ Der Kellner kam zurück und wir bestellten noch zwei Cocktails. „Vielleicht ist es doch ein ernstes Thema“, gab ich zu, als ich über seine Frage nachdachte. Die Zukunft machte mir Angst, weil meine so ungewiss war. Ich hatte weder Pläne, noch wusste ich, ob es aufgrund meiner „Krankheit“-oder wie man das nennen wollte-eine Zukunft gab.
„Dann wechseln wir das Thema einfach, Honey.“ Mitfühlend sah er mich an und kurze Zeit später sprachen wir wieder über lustige Dinge. Zum Beispiel darüber, dass ich überhaupt nicht trinkfest war. Nach drei Cocktails fing ich schon an undeutlich zu sprechen und die Welt schien sich etwas schneller zu drehen. Noah merkte man diese drei Cocktails überhaupt nicht an. Ja, ich vertrug wirklich keinen Alkohol.
„Wollen wir nach oben gehen und bisschen tanzen?“, fragte ich ihn, nachdem mein drittes Glas leer war. „Bist du sicher, dass du überhaupt noch stehen kannst? Ich hab noch nie jemanden gesehen, der so wenig verträgt“, stellte Noah lachend fest. Ich tat so, als wäre ich beleidigt und stand demonstrativ auf.
Etwas wackelig ging ich die Stufen hinauf und Noah hielt mich an den Schultern fest, um mich leicht vorwärts zu schieben.
Auf der oberen Etage gab es eine kleine Tanzfläche auf der einige Leute hin und her schaukelten.
Ich zog Noah mit und bald schon tanzten wir zu der lauten Partymusik. Wie ich es liebte, zu tanzen und mitzusingen. Der Abend wurde immer besser!

Als wir zurück zum Auto liefen, musste ich mich an Noah abstützen, um nicht hinzufallen. Im Auto schaltete er direkt die Heizung an und ich kuschelte mich in den Sitz. Auf der Fahrt zurück musste ich eingeschlafen sein und ich wachte erst auf, als wir vor einem Haus parkten. „Wo sind wir?“, fragte ich verschlafen und rappelte mich auf. „Bei meinem Onkel. Hier wohnen Jonah und ich, seit dem…Vorfall in der WG“, erklärte Noah zögernd und lächelte mich an. Er stieg aus und war schon bald auf der Beifahrerseite, um mir aus dem Auto zu helfen.
Das Haus war groß aber ich war viel zu müde, um es mir genauer anzusehen. Wir gingen direkt in ein Zimmer, dass ich als Gästezimmer abstempelte. „Wieso hast du mich nicht nach Hause gebracht?“, fiel es mir ein, als ich mein Kleid auszog, um ein großes Oberteil von Noah überzuziehen. „Deine Großeltern bringen dich um, wenn die dich so betrunken sehen und ich dich in dein Zimmer trage.“ Er zog sich bis auf die Boxershorts aus und legte sich ins Bett. Nachdem ich meine Sachen in die Ecke geworfen hatte, legte ich mich neben ihn. Bei jedem anderen wäre es mir unangenehm gewesen, betrunken und nur mit einem riesen Oberteil im Bett zu liegen, während derjenige halbnackt war. Doch ich wusste, dass er mich zu nichts zwingen würde. Dafür kannte ich ihn dann doch zu lange. Ich legte meinen Kopf auf seine Brust und bald schon schlief ich ein. Endlich schlief ich traumlos, erholsam und lange. Perfekt.

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