Mittwoch, 1. Juni 2016
Realität
Ich drückte meinen Körper an den Baum, damit es mich nicht sah. Leonie stand am Baum neben mir und tat es mir gleich. Sie trug ihre Haare offen, sodass sie glatt auf ihren Rücken fielen. Dann hatte sie noch ihr Party-Outfit an. Ein pinkes, kurzes Kleid mit schwarzen Verzierungen. Ich trug ebenfalls meine Party-Klamotten. Eine kurze, schwarze Hose und ein schickes, weißes Top. Meine Haare fielen glatt über eine Schulter. Jedoch war dies nicht mehr meine Geburtstagsfeier. Wir befanden uns in einem Wald. Es war finster und der Nebel wurde immer dichter. Der Waldboden wurde matschiger, sodass unsere Füße immer tiefer rutschten. Leonie hielt plötzlich eine Waffe in der Hand und ich tat es ihr gleich. Keiner von uns wollte diesen Viechern unbewaffnet begegnen. Hinter unseren Bäumen befand sich eine Moorlandschaft. Dort hörte man das Keuchen dieser Monster. Sie kamen. Ich nahm eine Gestalt neben Leonie war, dann lag sie auch schon kämpfend auf dem Boden. Das Monster, ein Menschenähnliches Wesen, krallte sich in ihre Schultern und versuchte sie zu beißen. Leonie versuchte zu schießen, schoss aber jedes Mal vorbei. Das Wesen war Kreidebleich, besaß keine Nase aber dafür ein großes Gebiss. Seine Augen waren nur kleine Schlitze, durch die ab und an mal Blut kam. Mein Unterbewusstsein hatte wieder mal gute Arbeit geleistet. Kurz bevor ich Leonie helfen konnte, schmiss sich ein Wesen auf mich und biss mir in meine Wade. Blut spritzte in mein Gesicht und ein schrecklicher Schmerz durchzuckte meinen ganzen Körper. Ich sah, wie Leonie in das Moor gezogen wurde. Sie versuchte sich mit aller Kraft am Boden festzuhalten aber es gelang ihr nicht. Irgendwann waren ihre schmerzerfüllten Schreie nicht mehr zu hören und es wurde Still. Das Wesen, welches mich angegriffen hatte, stellte sich hin und sah zu mir hinab. „Du hast verloren“, verkündete es monoton. Ich richtete den Lauf meiner Waffe gegen meine Schläfe. „Mag sein aber das ist nur ein Traum“, sagte ich locker und drückte ab.

Ich erhob mich ruckartig und fiel von einer Couch. Keuchend drückte ich mich mit meinen Händen hoch und sah mich in dem Zimmer um, indem ich grade wach geworden bin. Das Zimmer kam mir leider bekannt vor und ich hoffte, ich träumte immer noch. Mein Schädel dröhnte und mir wurde übel. Ich hatte wohl in der letzten Nacht zu tief ins Glas geschaut. Doch wer konnte mir das verdenken? Es war schließlich mein Geburtstag! Da Noah die Woche bei seiner Familie verbringen musste, hatte ich beschlossen meinen Geburtstag bei anderen Freunden zu verbringen. Allerdings war mir nicht bewusst gewesen, dass diese Freunde ihn auch einladen würden…Marvin. Und jetzt befand ich mich tatsächlich in seinem Zimmer! So wie es aussah, musste ich auf seiner Couch geschlafen haben. Ich musterte mich. Ich trug immer noch mein Party-Outfit, nur meine High Heels waren verschwunden.
Tageslicht kam durch das Fenster hinter mir und ich sah, dass Marvin nicht in seinem Bett lag. Wie kam ich überhaupt hier hin? Insgeheim sagte ich mir, ich würde nie wieder Alkohol trinken. Doch am Ende sagt man das immer, hält sich aber selten daran. Die Zimmertüre öffnete sich und Marvin tauchte auf. Er trug nur eine schwarze Schlafhose und er hielt ein Tablett in den Händen. Nachdem er die Türe wieder geschlossen hatte, schaute er verdutzt in meine Richtung. „Wieso liegst du auf dem Boden?“, fragte er belustigt. Ich rappelte mich auf aber mir wurde direkt schwindelig, also setzte ich mich auf die Couch neben mir. Marvin stellte das Tablett auf dem Couchtisch ab. Auf dem Tablett befanden sich zwei Teller mit Toast und Rührei und zwei Tassen Kaffee. „Ich dachte, vielleicht hast du Hunger“, sagte er und setzte sich neben mich. Ok, das war gar nicht gut. Wieso hatte ich bei ihm geschlafen? Ich wusste, dass da nicht mehr gelaufen ist aber allein mit ihm in einem Zimmer zu sein tat mir nicht gut. „Wieso bin ich hier?“, fragte ich verwirrt. „Gegen Ende der Party warst du so fertig und müde…da habe ich angeboten, dass du bei mir pennst. Mein Haus war näher, als deine Wohnung. Aber keine Angst, du bist direkt eingeschlafen, als du auf der Couch lagst“, erzählte Marvin knapp und nahm einen Teller mit Rührei. Er reichte ihn mir. Zuerst wollte ich einfach flüchten aber es erschien mir unhöflich. Immerhin hatte er meine Situation nicht ausgenutzt und bot mir noch etwas zu Essen an. Wir aßen und keiner sprach. Ich fing an über unsere Beziehung nachzudenken. Es hätte wahrscheinlich funktioniert, wenn die Drogen nicht gewesen wären. Apropos Drogen…er verhielt sich erneut komisch. Immer wenn er Drogen nahm, konnte ich seine Gefühle nicht lesen. Zu Drogen zählte für mich schon Alkohol. Alkoholisierte Menschen sind gefühlsmäßig unberechenbar. Als ich aufgegessen hatte, schaute ich ihm in die Augen. Nichts. Der Alkohol dürfte jetzt nicht mehr so stark wirken. „Du hast gesagt, du willst dich ändern“, stellte ich schroff fest. Natürlich war er mir nichts mehr schuldig, besonders keine Rechenschaft. Aber er hatte mir vor kurzem noch erzählt, er wolle mit sämtlichen Drogen aufhören, weil er mich immer noch liebt. Ich war nicht mehr mit ihm zusammen und es spielte keine Rolle mehr aber es ging hier auch um seine Gesundheit. Marvin sah mich fragend an, denn er kannte meine Gabe nicht. „Du hast wieder gekifft. Mindestens das“, bemerkte ich genervt und Räume die Teller auf das Tablett. Er sah mich ertappt an und von da an wusste ich, dass ich recht hatte. „Das war nur einmal…ich höre auf“, log er abermals. Ich nahm meine Handtasche vom Boden und warf sie mir über die Schulter. Anschließend nahm ich das Tablett und verließ das Zimmer.
Ich wollte nicht unhöflich sein, also brachte ich das Geschirr in die Küche. Leider wartete dort die Mutter auf mich. Na, toll. „Na habt ihr gut geschlafen?“ Die Mutter strahlte von einem Ohr zum anderen. Sie setzte ihr breites Grinsen auf und sah mich erwartungsvoll an. Wahrscheinlich dachte sie, wir wären wieder zusammen. „Ja aber ich muss jetzt auch los. Meine Familie kommt noch, wegen meinem Geburtstag“, wich ich ihr aus und wollte das Haus verlassen. Sie kam mir leider hinterher in den Flur. „Weißt du eigentlich, dass ich dich richtig mag? Du bist ein intelligentes und hübsches Mädchen. Ich würde mich freuen, wenn wir mal was zusammen machen könnten“, sagte sie und es hörte sich verdammt aufgesetzt an. Suchte sie eine Ersatztochter? Ich konnte ihre Gefühle schließlich lesen und wusste, dass sie mich nicht sonderlich mochte. Sie wünschte sich eine andere Freundin für ihren tollen Sohn oder am besten gar keine. So hatte sie ihren Sohn für sich. Ich musste aber leider mitspielen, denn Marvin tauchte auf. Außerdem konnte ich schlecht sagen, dass ich wusste, was sie fühlte. Ich hielt inne und lächelte die Mutter gekünstelt an. „Danke, wirklich. Aber momentan habe ich nicht so viel Zeit. Ich melde mich, sobald was frei wird“, log ich gespielt freundlich. Was sie konnte, konnte ich nämlich auch. Wenn sie wüsste, dass ihr „perfekter“ Sohn Drogen nahm, würde sie sich nicht mehr so hochnäsig benehmen. Typisch, scheinheilige Welt.
Ich verließ das Haus und ging Richtung Bushaltestelle. Mein Auto stand in der Garage, weil ich wusste, dass ich mit dem Restalkohol im Blut sowieso kein Auto fahren konnte. Als der Bus endlich kam und ich mich hinsetzen konnte, kramte ich in meiner Tasche nach meinem Handy. Ich fand nicht nur mein Handy, sondern auch ein eingepacktes Geschenk. Ich nahm es heraus und packte es aus. Ein eingerahmtes Bild kam zum Vorschein. Auf dem Bild umarmte mich Marvin von hinten. Wir grinsten beide in die Kamera. Das Bild entstand am Anfang unserer Beziehung, als ich noch nichts von seinen Sünden wusste. Zum Glück war der Bus fast leer, weil ich mir eine Träne nicht zurück halten konnte. Wie sehr hätte ich mir zu der Zeit gewünscht, dass die einzige Droge in unserem Leben die Liebe sein würde.

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