Samstag, 26. März 2016
Vorahnung
Am schlimmsten ist es, wenn der Schmerz in die Beine geht und ich kurz darauf nichts mehr spüren kann. Das Gefühl der Lähmung ist schrecklich. Ich weiß zwar, dass es nicht lange anhält aber in dem Moment fühlt man sich echt hilflos.
Es war ein Mittwoch und ich hatte die Wohnung für mich alleine. Eine Freundin von mir würde am nächsten Tag Geburtstag haben, weshalb ich ihr einen Kuchen backen wollte. Also fuhr ich einkaufen, um die Zutaten zu besorgen. Es war ein schöner Tag. Die Sonne schien und es war angenehm warm. Ich konzentrierte mich zu der Zeit nicht auf meine Probleme, sondern auf die schönen Dinge im Leben.
Zufrieden brachte ich die Einkäufe in die Wohnung und packte die vollen Tüten aus. Draußen wurde es schon dunkel, deshalb schaltete ich die Lampen an. Kurz darauf versuchte ich einen leckeren Teig zuzubereiten, während im Radio laut Musik lief. Ursprünglich sollte es ein Marmorkuchen werden, entwickelte sich jedoch mehr in Richtung Schokokuchen. Unsere Küche war groß, sodass ich genug Platz hatte, um ordentlich mitzutanzen. Nachdem der Teig fertig war, kippte ich ihn in eine Form und schob ihn in den warmen Ofen. Laut dem Rezept musste ich jetzt 45 Minuten warten.
Also ging ich in mein Zimmer, um etwas aufzuräumen. Überall lagen Bücher und Unterlagen für die Schule. Während ich alles in den Schubladen verstaute merkte ich nicht, welches Unheil gleich auf mich zukommen würde. Es dauerte keine 10 Minuten, bis der Feuermelder anging. Ein lautes Piepen hallte durch den Flur. Als wäre der Feuermelder ein Startsignal, kamen meine Schmerzen. Ein höllisches Stechen in der Magengrube, welches sofort in die Beine zog. Plötzlich gingen die Lampen im Flur aus und meine Beine gaben nach. Das Buch, war es vorher noch in meiner Hand gewesen, fiel laut zu Boden und ich tat es dem Buch gleich. Da lag ich also in der Dunkelheit. Ich konnte weder laufen, noch viel sehen. Kurze Zeit später roch ich den Grund, weshalb der Feuermelder aktiviert wurde. „Scheiße!“, fluchte ich verzweifelt, als ich Rauch im Flur sah. Mit letzter Kraft versuchte ich mich mit den Händen hochzudrücken. Doch ich schaffte es nicht, denn meine Beine waren komplett taub und mein Oberkörper schmerzte.
Ich zog mich mit den Armen am Boden entlang, um irgendwie in die Küche zu kommen. Im Flur streckte ich meinen Arm aus und suchte mit der Hand den Lichtschalter. Nachdem das Licht endlich anging, konnte ich den Rauch besser sehen. Je näher ich der Küche kam, desto schlechter bekam ich Luft. Der Feuermelder dröhnte laut in meinen Ohren und ich fragte mich, weshalb die Nachbarn nichts mitbekamen. War keiner zu Hause? Auf Hilfe konnte ich nicht hoffen. Irgendwie gelang es mir in die Küche zu kriechen. Der Rauch kam aus dem Ofen, indem die Kuchenform aufgeplatzt war. Der rohe Teig lag auf dem Ofenboden und verursachte dunklen Qualm. Hustend zwang ich meinen Körper aufzustehen und den Ofen zu öffnen. Dicker Qualm peitschte mir ins Gesicht und drohte mich zu ersticken. Trotzdem hielt ich durch und packte die Kuchenform mit meinen bloßen Händen. Die heiße Form verbrannte meine Haut aber das war mir egal. Ich schmiss die Form in das Spülbecken und riss das Fenster auf, damit ich wieder atmen konnte.
Meine Beine gaben wieder nach und ich kämpfte nicht mehr dagegen. Dazu hatte ich keine Kraft mehr. Das Signal des Feuermelders schien immer lauter zu werden. Verzweifelt kroch ich in den Flur, um den Feuermelder mit einem Schuh von der Decke zu werfen. Ich nahm meinen Turnschuh und schmiss ihn mit voller Wucht gegen das Gerät. Tatsächlich fiel es auf den Boden und die Batterien flogen in alle Richtungen. Stille.
Keuchend und erschöpft lag ich auf den Fliesen in der Küche. Meine Beine kribbelten seltsam und meine Hände taten furchtbar weh. Es wäre nicht so eskaliert, hätte ich nicht genau in diesem Moment einen Anfall gehabt. Mir war zum heulen zumute. Ich kramte in meiner Hosentasche nach meinem Handy, um eine Freundin von mir anzurufen.
„Mir ist grade der Kuchen angebrannt. Kannst du einen für Morgen backen?“ Ich erzählte ihr nichts von dem Drama, welches sich grade hier abgespielt hatte.
Ungefähr eine Stunde lag ich auf dem Boden und starrte an die Decke. Solange, bis ich meine Beine wieder spüren konnte und meine Hände nicht mehr allzu sehr schmerzten. Vorsichtig rappelte ich mich auf und räumte das Desaster auf. Der Boden des Backofens sah schrecklich aus. Verbrannte Teigreste klebten überall. Also versuchte ich die Reste wegzukratzen.
Nach langer Arbeit gelang es mir, das Meiste zu entfernen.
Es klingelte an der Türe und ich betete, dass es nicht meine Großeltern waren. Obwohl beide einen Schlüssel für die Wohnung hatten, klingelten sie oft. Der Ofen sah zwar einigermaßen normal aus aber es stank verbrannt, egal wie weit ich die Fenster öffnete. Meine Großmutter würde mir den Hals umdrehen, wenn sie wüsste, was hier grade abging. Ich kniff die Augen zu und schickte ein letztes Gebet gen Himmel, bevor ich die Türe öffnete.
Eric, mein damaliger Freund, trat in die Wohnung und urplötzlich schlug meine Stimmung um. Er umarmte mich aber irgendetwas war anders, als sonst. Misstrauisch beäugte ich ihn, während er deutlich die Nase hochzog. „Warum riecht es hier so verbrannt?“, fragte er und ging in die Küche. Ich schloss die Wohnungstüre und ging hinterher. Ein komisches Gefühl machte sich in mir breit. Er bemerkte die verbrannte Kuchenform im Spülbecken. „Ich hab versucht zu backen“, kommentierte ich seinen Fund tonlos. Was war mit mir los? Zu dem Zeitpunkt wusste ich es noch nicht. Normalerweise war ich immer froh, wenn er mich besuchte. Eric setzte sich auf einen Küchenstuhl und schaute fragend zu mir. „Was hast du denn?“ Er war anders. Ich hatte das Gefühl, als wenn jemand hinter mir stehen würde. Zur Sicherheit drehte ich mich um aber niemand war dort. Eine Stimme, woher sie auch zu kommen schien, flüsterte „Verräter“. Gut möglich, dass ich eine Rauchvergiftung hatte aber ja, ich hörte eine Stimme. „Wo warst du den ganzen Tag?“, fragte ich mit bebender Stimme. Dabei starrte ich direkt in seine Augen, als könnte ich in ihnen lesen. Irritiert wich er meinem Blick aus. „Ich habe gelernt“, sagte er schließlich. Er verheimlichte mir etwas und ich ahnte schlimmes. Und wieder flüsterte eine Stimme „Verräter“.
„Du hast nicht alleine gelernt“, stellte ich schroff fest. Die Farbe in seinem Gesicht verblasste. „Hast du mit meiner Mutter geschrieben?“, wollte er ertappt wissen und stand auf. Ich schüttelte leicht den Kopf. „Eine Freundin aus der Schule war dabei aber wir haben nur gelernt“, versicherte er mir, wenig überzeugend. Die Stimme, die aus dem Flur zu kommen schien, flüsterte „Lügner“. Mir egal, ob ich verrückt wurde. „Wenn ihr nur gelernt habt, wieso verheimlichst du es mir dann?“ Darauf wusste er keine Antwort. Nervös ging er an mir vorbei und wollte zur Tür. „Vielleicht ist es besser, wenn ich jetzt gehe. Wir beide müssen nachdenken, wie es weitergehen soll“, bemerkte er. „Nein, nur du musst nachdenken“, sagte ich und im nächsten Moment verließ er die Wohnung.

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