Donnerstag, 25. Februar 2016
Welt: aus
Manche Menschen behaupten, man könne alles lernen. Man muss sich nur Zeit nehmen und sich Mühe geben. Genau das habe ich bei Mathematik versucht...wirklich. Stundenlang saß ich an den Aufgaben und lernte. Doch es ging nicht in meinen Kopf rein. So viele verschiedene Formeln und Buchstaben, die ich mir nicht merken konnte. Ich hatte mein Zeitgefühl komplett verloren, als ich die Eingangstüre der WG hörte. Erschrocken sah ich mich in Noahs Zimmer um. Das ganze Bett war voller Zettel, auf denen ich versucht hatte Mathe-Aufgaben zu lösen. Hier und da lag ein Buch auf dem Boden und ich...ich hatte nur meine Unterwäsche und seinen Bademantel an. Der Mantel war mir zwar viel zu groß aber er war auch richtig gemütlich.
Die Zimmertüre ging auf und ein verdutzter Noah stand im Türrahmen. "Was hast du denn hier veranstaltet? Und ist das...mein Bademantel?", fragte er amüsiert und musterte mich auffällig. Verlegen begann ich einige Zettel zu sortieren und auf sein Schreibtisch zu legen. "Ich hab versucht Mathe zu lernen...die Betonung liegt auf: versucht." Er lachte und warf sich auf sein Bett. "Ich bin froh, dass du noch hier bist. Geht es dir denn besser?" Kurz musste ich über meine Antwort nachdenken. Meine Knochen, besonders an den Beinen, taten immer noch weh aber es wurde schon angenehmer. Mein Hals machte mir noch schwer zu schaffen. Das würde sich allerdings auch bald legen. "Irgendwie schon", sagte ich schließlich und räumte jetzt die Bücher in meine Schultasche. "Gut! Weißt du denn nicht, was heute für ein Tag ist?", fragte er aufgeregt und stand wieder auf. Überrascht von seiner guten Laune hielt ich inne und sah ihn misstrauisch an. "Donnerstag?"
"Nein...Dönerstag!", rief er aus und klatschte in die Hände. Meine Augen weiteten sich und ich konnte nicht mehr ernst bleiben. Mein Lachen hörte sich heiser an und es tat auch weh, jedoch kam aufhören nicht in Frage. Den sogenannten "Dönerstag" erfand ich vor einigen Jahren. Damals aßen wir jeden Donnerstag einen Döner...solange, bis uns dieser schließlich bis zum Hals raus hing. Nachdem ich mich beruhigt hatte hielt er mir die Hand hin. "Darf ich bitten?" Er führte mich in die große WG Küche. Dort befand sich ein dekorierter Esstisch mit- wie sollte es anders sein?- zwei Tellern mit jeweils einem Döner. "Wow...du bist echt verrückt", bemerkte ich kichernd und setzte mich auf einen Stuhl.

Das war der leckerste Döner, den ich seit langer Zeit gegessen hatte! Es tat gut, endlich mal wieder etwas warmes im Bauch zu haben. Nach dem Essen sprang Noah auf und lief in das Wohnzimmer. "Jetzt dreht der völlig durch...", flüsterte ich, als ich es vom Wohnzimmer aus scheppern hörte. Für kurze Zeit war es Still und dann ertönte Musik. Meine Mundwinkel gingen automatisch nach oben, als ich ihn erwartungsvoll im Wohnzimmer stehen sah. Er hatte den Fernseher mit dem Internet verbunden und spielte unseren Song. "Dancing in the moonlight?", fragte ich grinsend und verschränkte die Arme vor der Brust. "Hast du Lust zu tanzen?" Er begann sich zu der Musik zu bewegen, was mich wieder zum lachen brachte. "Ich würde ja gerne mittanzen aber meine Beine...tun immer noch weh. Lange kann ich nicht mehr stehen", gab ich zu und berührte mit den Händen meine Knie. Es fühlte sich komisch an, wie Wackelpudding. Noah kam auf mich zu, hob mich leicht hoch und stellte meine nackten Füße auf seine Füße. Dann legte er meine Arme um seine Schultern und bewegte sich. Während er seine Füße im Takt bewegte, zog er mich somit automatisch mit. "Dann lass mich heute ausnahmsweise deine Beine sein", sagte er sanft. So etwas hatte noch keiner für mich gemacht. Man konnte nicht ignorieren, dass sich Noah ziemlich veränderte. Damals wäre er niemals so zuvorkommend und höflich gewesen. Während unsere Körper sich zur Musik bewegten, sah er mir tief in die Augen. Solchen Momenten konnte ich nie standhalten. Irgendwann sah ich immer weg...es war, als könnte man mir in die Seele schauen und das war mir unangenehm. "Warum sind wir nicht zusammen?", fragte er plötzlich leise. Das Lied war vorbei und er suchte wieder meinen Blick. "Ich meine, du bist sehr oft bei mir und wir teilen viel miteinander. Du weißt, dass ich immer für dich da bin und dich nicht im Stich lasse." Was sollte ich ihm sagen? Ich hatte Angst. Angst, dass ich ihn genauso wie die anderen Menschen in meinem Leben verliere. Jedesmal funktionierten meine Beziehungen einfach nicht. Immer gab es Streit und Vorwürfe und schließlich kam es zum Abschied. Das wollte ich für uns beide nicht. "Mein Leben ist nicht so...leicht. Es gibt immer Chaos..."
"Und deshalb darfst du niemals glücklich sein? Genau du hast recht! Diese Einstellung ist genau die Richtige, wenn du irgendwann alleine mit 500 Katzen sterben willst", unterbrach er mich sarkastisch. "Lass dich fallen und mach das, worauf du bock hast. Wir können es versuchen...du musst mir nur eine Chance geben. Eine richtige Chance." Jedesmal, wenn er mich so ansah wie in diesem Moment, da bekam ich ein kribbeln im Bauch. Doch war das Liebe? Sicher war ich mir da nie...
Ich wurde schon zuviel manipuliert und ausgenutzt...woher sollte ich wissen, was Liebe ist und wie sie sich tatsächlich anfühlte?
Plötzlich musste ich ihn küssen. Die Welt um mich herum schaltete sich ab. Es gab nur noch uns beide und diesmal würde ich die Probleme und die Schmerzen vergessen. Er hob mich über seine Schulter und ich kreischte, weil ich es hasste keinen Boden mehr unter den Füßen zu spüren. Nach einigen Sekunden hörte ich auf, auf seinen Rücken zu klopfen und er trug mich langsam in sein Zimmer.
"Lass mich bitte nicht fallen...", flehte ich und in dieser Bitte steckte viel mehr Bedeutung, als zunächst beabsichtigt.

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