Mittwoch, 27. Juli 2016
Wir sind die Autoren
Noah:
Ich musste einfach mit ihr sprechen aber sie ließ es nie zu. Wahrscheinlich lag es an ihrer Beziehung zu Marvin. Ganz ehrlich? Ich konnte verstehen, dass sie auf Abstand ging, zumal sie ihn angeblich so sehr liebte. Doch das war mir egal, denn meine Gefühle waren auch wichtig.
Irgendwie fühlte ich mich wie ein Psycho, als ich an dieser Apotheke wartete, an der ich sie schon einmal hatte absetzen müssen. Es war mitten in der Nacht und ich wusste nicht, ob sie bei ihm schlafen würde. Vielleicht wartete ich auch völlig umsonst. Was blieb mir aber anderes übrig, wenn sie sich doch nie überreden ließ, sich mit mir zu treffen? Zu meiner Erleichterung flitzte irgendwann ein roter, kleiner Wagen an mir vorbei. Ich startete den Motor und fuhr ihr hinterher. (…)
Nach ungefähr drei Minuten fiel ihr anscheinend auf, dass sie jemand verfolgte. Sie bremste abrupt ab, sodass ich ebenfalls eine Scharf-Bremsung machen musste. Als sie dann auch noch ausstieg und energisch auf mein Auto zu lief, schüttelte ich fassungslos den Kopf. Sie trug eine ¾ Jeans und ein fransiges, schwarzes Oberteil mit bunten Schriftzeichen. Ihre Haare waren geflochten aber ziemlich durcheinander. Wer hatte diese Haare so zerzaust? Ich wollte es nicht wissen. Wütend öffnete sie meine Fahrertür und funkelte mich mit ihren dunklen Augen an. „Was zum Teufel machst du hier?! Du hast mich zu Tode erschreckt!“, fuhr sie mich an. Ich hob die Hände, um zu symbolisieren, dass ich unschuldig war und stieg aus. „Wieso hältst du an? Du sollst doch abhauen, wenn dich jemand verfolgt. Das habe ich dir schon tausendmal gesagt“, stellte ich mahnend fest und steckte meine Hände in meine Hosentaschen. Sie zog eine Augenbraue hoch und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Dabei fielen mir zwei kleine Knutschflecken an ihrer rechten Schulter auf. Scheiße. Angestrengt versuchte ich nicht darauf zu starren und mir vorzustellen, was jemand anderes mit ihr anstellen durfte. „Wieso abhauen? Ich kenne doch dein Bonzen-Auto“, holte sich mich aus meinen Gedanken zurück. Dieser Sicherheitsabstand, den sie seit ihrer Bekanntschaft mit Marvin hielt, machte mich verrückt. Wie gerne würde ich…egal. Andere Gedanken. „Du bist neidisch auf mein Auto, ich weiß“, ärgerte ich sie aber lächelte dabei. Ihre Gesichtszüge wurden etwas weicher. „Eine Frau braucht eben fünf Ringe in ihrem Leben. Die Ringe eines Audis und einen…Ehering“, sagte sie, wie selbstverständlich. Bei dem Wort Ehering hatte sie allerdings gezögert. Bevor ich diese Aussage kommentieren konnte, sprach sie weiter. „Was willst du hier?“ Eine einfache Frage, die sich nicht so leicht beantworten ließ. „Dich sehen…“, gab ich ehrlich zu und schaute ihr in die Augen, die zu schmalen Schlitzen wurden. Das tat sie immer, wenn sie versuchte Menschen zu lesen. Dabei legte sie auch jedes Mal den Kopf schief und manchmal biss sie sich auf ihre Unterlippe. Nach wenigen Sekunden schluckte sie schwer. „Ich kann dich lesen. Deshalb weiß ich, wie es dir geht…und genau deshalb können wir uns nicht mehr treffen. Zumindest nicht mehr alleine“, bemerkte sie in einem komischen Tonfall. So, als wäre sie enttäuscht von den Gefühlen, die sie grade bei mir gelesen hatte. Was hatte sie gesehen? „Was wird aus unserem Buch?“, fragte ich sie unerwartet. Das schoss mir so durch den Kopf. Im Laufe der Zeit hatten wir angefangen alles aufzuschreiben. Alles, was uns passierte und was in unseren Köpfen vorging. Daraus wollten wir später mal ein Buch basteln. „Du brauchst nichts mehr schreiben. Ich kann alleine weiter schreiben.“ Sie konnte mir dabei nicht in die Augen schauen. Stattdessen sah sie auf ihre Schuhe. Also sollte ich ganz aus ihrem Leben verschwinden? „Mir gefällt aber nicht, wie sich das Buch entwickelt hat“, sagte ich stur und kam einen Schritt näher. Sie zuckte zusammen und ging einen Schritt rückwärts. Ich ertrug es nicht aber sagte nichts dazu. „Du kannst daran nichts mehr ändern. Hör einfach auf. Das was dort steht, bleibt so“, befahl sie mir schroff. Sprachen wir noch von unserem Buch? Sie wollte sich umdrehen und zurück zu ihrem Auto gehen. Das konnte ich nicht zulassen, deshalb hielt ich sie an ihrem Unterarm fest. „Lass mich los, Noah“, zischte sie. Wenn sie deinen Namen ausspricht, wird es ernst. Aber ich ließ nicht los. „Wir können das Buch umschreiben. Wir sind die Autoren!“, erinnerte ich sie und flehte fast dabei. Erbärmlich aber ich konnte nicht anders. „Das hast du selbst gesagt.“ Als ich merkte, dass sie nicht mehr reden wollte, ließ ich sie langsam los. Sie ging über die leere Straße zu ihrem Auto und hielt inne, als sie die Fahrertür geöffnet hatte. Ohne mich anzusehen sagte sie: „Erinnere dich an Eric. Bitte, lass es nicht wieder so weit kommen. Halt dich da raus, bitte.“ Diese Worte stachen mir ins Herz. Sie gab mir immer noch die Schuld an dem Ende ihrer Beziehung mit Eric. Dabei wollte ich sie damals nur vor diesem Typen bewahren. Ich wusste, dass er nicht gut…nicht gut genug für sie gewesen ist. Ohne Erbarmen stieg sie in ihr Auto und fuhr davon. (…)

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