Sonntag, 28. Februar 2016
Wir sind jetzt ein Team
Die Sonne schien auf die große, altmodische Kirche. Es war die schönste Kirche, die ich jemals gesehen hatte. Sie hatte eine große Kuppel mit wunderschön bemalten Fenstern. Die Glocken spielten eine sanfte Melodie, während ich die Türe öffnete. Es war eine Hochzeit, meine Hochzeit. Mein Kleid war weiß, trägerlos und bestand aus einer Menge Tüll. Während ich durch den geschmückten Gang lief, sah ich mir die Gäste an. Auf der einen Seite saßen meine Familienmitglieder und auf der anderen Seite, die von Eric. Dieser stand vor dem Altar und sein Blick war liebevoll auf seine Braut gerichtet. Doch das war nicht ich. Ein Mädchen, auch in einem weißen Kleid, stand neben ihm und nahm seine Hände in ihre. Es war nicht meine Hochzeit. Enttäuscht starrte ich das verliebte Paar an, die grade mit dem Pfarrer sprachen. Alle Gäste waren zu Tränen gerührt. Anastasia tauchte neben mir auf und schaute fragend von mir zu dem Bräutigam. „Warum träumst du sowas?“, wollte sie neugierig wissen. „Das da vorne war mal mein Freund. Er hat jetzt eine andere“, stellte ich knapp fest und musste schwer schlucken. Anastasia begriff und wurde traurig. „Das ist dein Traum. Du kannst ihn verschwinden lassen“, bemerkte sie leise. Ja, es wäre kein Problem für mich die Kirche zum Einsturz zu bringen. Aber wollte ich das wirklich? „Nein, er soll glücklich werden…auch wenn es nicht mit mir ist“, sagte ich mit Tränen in den Augen. Anastasia sah mich verwundert an aber dann nickte sie. „Das ist vernünftig.“ Mit einem kurzen Blick auf mein weißes Kleid schloss ich meine Augen, damit ich mir ein dunkelblaues Cocktailkleid wünschen konnte. Kurze Zeit später trug ich jenes Kleid und setzte mich auf eine leere Bank in der hintersten Reihe. „Heute soll nur die Braut weiß tragen“, flüsterte ich, als sich Anastasia neben mich setzte. Traurig beobachteten wir die Zeremonie, mit dem Ehegelübde und dem Ringtausch, bis hin zu dem Kuss. Einige Tränen tropften auf meinen Schoß. „Wieso seid ihr nicht mehr zusammen?“, fragte Anastasia schockiert. Die kleine Version von mir selbst wurde immer trauriger. Ihre großen braunen Augen wurden nass, weil sie mit mir litt. Es tat mir im Herzen weh, mich selbst als kleines Kind so niedergeschlagen zu sehen. „Manchmal reicht die Liebe nicht aus. Menschen sind manchmal komisch.“ Etwas Besseres fiel mir nicht ein. Die Wände der Kirche wurden schwarz, denn der Traum war dabei zusammenzubrechen. Ich wurde wach.

Meine Kehle brannte und schnürte sich zu. Sobald ich meine Augen öffnete, bekam ich kaum noch Luft und keuchte schwer. Die Krankheit nahm mich immer mehr in Anspruch. Meine Großmutter kam in mein dunkles Zimmer und öffnete ruckartig die Fenster, damit ich sowohl Luft als auch etwas Licht bekam. Langsam setzte ich mich auf die Bettkante, damit ich meine Atmung beruhigen konnte. „Das reicht, wir müssen ins Krankenhaus“, entschied meine Großmutter genervt. „Zieh dich an und reiß dich zusammen!“ Sehr liebevoll klang das nicht, allerdings lag sie im Recht. Gezwungenermaßen musste ich zurück ins Krankenhaus, ob ich wollte oder nicht. Also zog ich mich um, auch wenn mir jeder Knochen schmerzte. Eine schwarze Jogginghose und ein Pullover mit der amerikanischen Flagge darauf mussten ausreichen. Meine Großeltern warteten bereits im Auto, während ich die Wohnungstüre zuschloss. Im Flur band ich mir einen Zopf und knallte direkt in seine Arme. Noah stand mit einer Tüte Brötchen und zwei Bechern Kaffee vor der Eingangstüre. Er trug eine hellgraue Mütze, eine dazu passende Strickjacke und Jeans. Verwundert starrte er mich an, als ich die Eingangstüre hinter mir schloss und in Richtung Straße gehen wollte, wo meine Großeltern auf mich warteten. „Du bist immer noch krank? Wo gehst du hin?“, fragte er hektisch, als er hinter mir herlief. Abrupt blieb ich stehen und drehte mich zu ihm. „Ja, ich bin immer noch krank. Nein, ich möchte nicht mit dir essen und wo ich hingehe, kann man sich bei meiner Geschichte bereits denken.“ Als hätte ich ihn angeschossen taumelte er zurück und ließ seine Schultern hängen. „Ich hasse es, wenn du sauer auf mich bist“, stellte er fest. „Ich hasse es, wenn man mir immer wieder Gründe gibt, sauer zu sein“, gab ich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich muss los, guten Hunger!“ Damit ließ ich ihn zurück.

Nach der Untersuchung im Krankenhaus, fuhren wir zur Apotheke, um mir meine Antibiotika zu besorgen. Wenigstens gaben sie mir diesmal Tabletten und vielleicht würden diese endlich helfen. Müde trottete ich meinen Großeltern hinterher, als wir zu Hause ankamen und auf den Eingang zusteuerten. Mein Blick fiel auf die Garage, in der normalerweise mein Auto stand. Jetzt war diese geöffnet und mein Auto stand davor, die Motorhaube weit offen. Was zum…? Meine Großeltern gingen ohne mich in die Wohnung, denn ich steuerte wütend auf den Hinterhof zu. Noah klappte grade die Motorhaube wieder zu, als ich bei ihm ankam. „Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen? Außerdem, wer hat dir erlaubt an Shane rum zu fummeln?“, fuhr ich ihn an. „Ganz ruhig, ich hab mir nur den Keilriemen nochmal angesehen. Manchmal quietscht dein Shane immer noch. Den Zweitschlüssel hatte ich noch vom letzten Mal. Willst du jetzt ein Brötchen essen?“ Er ging zur Fahrerseite und setzte sich in den Wagen. Anschließend fuhr er Shane wieder in die Garage. Mit verschränkten Armen beobachtete ich die Szene, bis Noah wieder mit einer Tüte vor mir stand. „Also, den Kaffee können wir jetzt vergessen. Den habe ich schon weggeschmissen, weil ihr lange gebraucht habt. Aber wir können oben einfach einen frischen machen“, schlug er vor und setzte sein schiefes Lächeln auf. Ach Mann, der gab tatsächlich nicht auf! „Meine Großeltern sind noch da und die wollen, dass ich mich ausruhe. Aber die fahren gleich zu Verwandten, dann kannst du hoch kommen.“ Schlug ich das grade wirklich vor? Also ein großes Durchhaltevermögen besaß ich noch nie. Noah grinste zufrieden, als ich hinter der Eingangstüre verschwand. Noch nie wurde ich so gestalkt, wie von diesem Kerl. Doch daran war nicht mal etwas Gruseliges oder unangenehmes. Er zeigte mir jeden Tag, dass egal was passierte, er für mich da sein würde. Wie konnte ich da lange sauer sein? Langsam begriff ich auch, welche Gefühle er für mich hatte. Da gab es zwei Möglichkeiten: Entweder war er ein guter Schauspieler oder ich wurde ehrlich geliebt.

Nach einer halben Stunde saßen wir bei mir in der Küche und frühstückten, auch wenn es schon Zeit fürs Mittagessen gewesen wäre. Zuerst sprachen wir kaum, doch als ich unsere Teller in die Spülmaschine räumte brach er das Eis. „Ich kann dich nicht zwingen, mir zu glauben. Aber ich bin nicht mehr mit Kürsad befreundet und habe auch fast nichts mit ihm zu tun. Weißt du, manchmal kommt er zu mir und heult sich bei mir aus aber Freundschaft kann man es lange nicht mehr nennen.“ Er trank einen großen Schluck aus seiner Kaffeetasse, bis er mich wieder ansah. Plötzlich wurde mir klar, wie dumm ich gewesen war. Anstatt dankbar für jede glückliche Minute zu sein, ließ ich mich schon wieder von Kürsad unterdrücken. Das durfte ich nicht zulassen. Nachdem ich die Spülmaschine in Gang gesetzt hatte, setzte ich mich auf Noahs Schoß und legte meine Arme um seinen Hals. Überrascht öffnete er seinen Mund, sagte aber nichts. Dann umarmte ich ihn fest und klammerte mich an seine Schultern, als hätte ich Angst von einer Strömung mitgerissen zu werden. Er hielt mich fest und so saßen wir einige Minuten, ohne ein Wort zu sagen. „Ich bin so anders geworden. Alles was ich weiß ist, dass ich nicht mehr in dieser Stadt wohnen möchte. Diese Leute hier machen mich krank“, flüsterte ich dicht an seinem Ohr. „Im Sommer bist du frei, dann hol ich dich hier raus, wenn du es zulässt“, sagte Noah und drehte meinen Körper so, dass ich ihn ansehen konnte. „Hast du irgendwelche Tabletten genommen? Du warst nie so anhänglich.“ Lächeln nahm ich sein Gesicht in meine Hände und beugte mich zu ihm, um ihn zu küssen. „Nein“, hauchte ich dann. „Ich habe erkannt, wer gut für mich ist und wer schlecht. Manchmal muss man auch ein gewisses Risiko eingehen.“ Noah half mir vorsichtig auf die Beine, damit wir in mein Zimmer gehen konnten. Im Flur drehte er sich zu mir und sah mich mit geweiteten Pupillen an. „Sind wir jetzt…zusammen?“ Mein Gehirn schaltete sich komplett ab, als gäbe es dort einen Stromausfall. „Ja, wir sind jetzt ein Team und ich vertraue dir.“ Kaum war der Satz ausgesprochen, drückte er seine Lippen auf meine und zog mich zu sich. Während ich meine Augen schloss betete ich insgeheim. Ich betete für meine Seele, die irgendwo zwischen Verlusten und Ängsten verloren gegangen ist. Möge Gott meiner Seele gnädig sein…

... link