Samstag, 13. Februar 2016
...denn ich war stark
"Es ist deine Schuld! Du denkst, ich wäre die Böse aber so ist das nun wirklich nicht! Hör auf zu jammern und geh! Wegen dir ist es jetzt soweit gekommen...wegen dir!" Meine Mutter stand im Esszimmer und fuchtelte wie verrückt mit ihrer Hand. Sie gab mir die Schuld dafür, dass sie mich damals alleine gelassen hat? Ich hörte zwar was sie sagte aber ich verstand es nicht. Es traf mich mitten ins Herz. Sie sprach noch weiter aber ich hörte sie nicht mehr. Ich dachte, sie würde mich lieben und sich freuen, wenn ich mit ihr über mein Leben sprach. Keine Ahnung, wie das Gespräch so aus dem Ruder laufen konnte. Ich stand wie versteinert mitten im Raum und merkte, wie mir die Tränen über das Gesicht liefen.
Noah tauchte auf und zog mich langsam in den Flur. Auch er sagte etwas aber ich konnte ihn nicht verstehen...alles hörte sich an, als wäre ich unter Wasser.
Ich nahm meine Tasche und rannte raus. Ohne zu zögern stieg ich in mein Auto und lies den Motor aufheulen. Wie auf Stichwort fing es an zu regnen und Noah stieg auf der Beifahrerseite ein. Ich schaute ihn nicht an, sondern starrte auf die Straße. Ich weiß nicht, wie lange wir da saßen oder was er zu mir sagte. Meine Hoffnung, meine Mutter würde raus kommen und sich entschuldigen oder mich zumindest in den Arm nehmen, löste sich nach jeder Minute mehr auf. Ich fuhr los.
Ich merkte gar nicht, wie ich fuhr und ich hörte auch nichts. Bis plötzlich ganz dicht vor mir ein Auto auftauchte und ich eine Vollbremsung machen musste. "Steig aus!", hörte ich plötzlich Noah rufen und ich war wieder da, in der wirklichen Welt. Er schaltete das Warnblinklicht ein und stieg aus dem Auto. Ich öffnete meinen Gurt und tat es ihm gleich.
Nach zwei Minuten hatten wir die Sitze gewechselt und er fuhr weiter.
Ich mochte es nicht, wenn jemand anderes mein Auto fuhr aber es war besser, wenn jemand mit klarem Verstand hinterm Steuer saß.
Wir sprachen lange Zeit kein Wort, bis ich irgendwann durch meine Playlist schaltete. "Mach jetzt bloß nichts trauriges an, sonst muss ich auch noch weinen", scherzte Noah und zwinkerte mir zu. Als wenn er jemals weinen würde...
Da fiel mir etwas ein und ich kramte mein Handy aus der Tasche, um die Innen-Kamera einzuschalten. Geschockt betrachtete ich mein Spiegelbild. "Ich sehe ja aus, wie ein Waschbär!", stellte ich entsetzt fest, kramte ein Taschentuch heraus und versuchte die verschmierte Wimperntusche zu entfernen.
"Ich wollte ja nichts sagen, Pumuckl. Aber gut, dass du die roten Haare nicht mehr hast...sonst hätte ich echt Angst vor dir!", prustete Noah los und ich stieg in sein Lachen mit ein. "Nenn mich nicht mehr Pumuckl, bitte!", jammerte ich.

Noah und ich parkten vor seiner Wohnung und ich stieg mit aus, um mich zu verabschieden.
"Bist du sicher, das du nach Hause fahren möchtest?", fragte er mich etwas enttäuscht.
Ich nickte traurig.
Ich brauchte echt Zeit für mich, denn es ist wieder einmal so viel passiert. Ursprünglich wollten er und ich ein schönes Wochenende bei der Familie verbringen aber es musste natürlich wieder im Drama enden. "Ich schreib dir, wenn ich zu Hause bin. Tut mir leid, das es so eskaliert ist", entschuldigte ich mich. "Tut mir leid, das wir nicht früher gefahren sind", entgegnete er und setzte ein schiefes Lächeln auf.
Dann kam er näher und gab mir einen flüchtigen Kuss auf den Mund. Noch bevor ich reagieren konnte war er an seiner Eingangstüre und zwinkerte mir zu.
Er verschwand und ich setzte mich in mein Auto.
Jetzt blieben mir wiedermal zwei Möglichkeiten:
Gab ich mich den schlechten Gefühlen hin und verschwand wieder in der Dunkelheit oder klammerte ich mich an den letzten Lichtstrahl, der mir blieb?
Ich hätte bei Noah bleiben können und er hätte schon dafür gesorgt, dass ich auf andere Gedanken komme. Doch ich wollte es selbst tun...ich wollte mich selbst aus der Dunkelheit ziehen und mich nicht von Personen abhängig machen. Das war ungesund.
Also fuhr ich weg, alleine. Diesmal wusste ich allerdings, ich würde es schaffen. Ich würde leben, denn ich war stark.

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Aus Prinzip
Mein Herz pochte bis zum Hals, als ich die große Eisenbahnbrücke sah. Es war hoch, zu hoch und unter der Brücke erstreckte sich ein tiefer Fluss.
Ich wusste nicht, wie spät es ist. Vielleicht zwei Uhr Morgens...und ich wusste auch nicht, wie lange ich schon gelaufen war aber das Adrenalin spornte mich an.
Ich ging auf die Brücke zu, der Wind stieß mich nach hinten und ich merkte, wie hoch ich schon war. Diese verdammte Höhenangst! Meine Beine funktionierten schlagartig nicht mehr und mir wurde kotzübel.
Da sah ich Dana, wie sie sich nach vorne lehnte. Sie stand am Rand der Brücke und war schon über das Geländer geklettert. Scheiße! Ich musste versuchen weiter zu gehen. Meine Ängste waren jetzt nicht mehr wichtig. Ich hielt mich am Geländer fest und zog mich Stück für Stück zu ihr.
Ich hatte das Gefühl, gleich an einem Herzinfarkt zu sterben, als ich einen Blick auf den Fluss unter uns warf. Höhenangst war ja schon suboptimal und ich konnte nicht mal schwimmen! Ich war definitiv fehl am Platz.
Ich atmete auf, als ich Dana endlich erreicht hatte.
Es schien noch kälter zu sein, als vorher schon.
Dana drehte den Kopf zu mir und sah mich mit großen Augen an. "Du frierst gleich ein", bemerkte sie, während sie mich musterte. Ich folgte ihrem Blick. Mit Boxershorts und einem dünnen Top war man wirklich nicht perfekt gekleidet aber als ich hörte, was Dana vor hatte, blieb keine Zeit mehr sich umzuziehen.
"Es ist so scheiße alleine zu sein! Einsamkeit bringt einen um, bevor man es schließlich selber tut", flüsterte Dana schmerzerfüllt und mein Magen zog sich zusammen. Ich wusste, wovon sie sprach. Doch nicht, was ich dazu sagen sollte. "Du bist ja nicht alleine, weil du echt gute Freunde hast und eine davon kriegt gleich einen Herzinfarkt", sagte ich halb im Scherz und halb weil ich es wirklich befürchtete.
"Was machst du überhaupt hier oben? Du hast doch krasse Höhenangst. Geh, bevor du was siehst, was du echt nicht verkraftest." Dana wollte mich los werden aber nicht mit mir! "Ich hänge jetzt in der Scheiße mit drin, also kann ich nicht einfach verschwinden. Das weißt du", stellte ich ernst fest.

Es schien, als würden Stunden vergehen während wir schwiegen. Dana schaukelte hin und her. Mein Herz setzte jedes Mal einen Schlag aus, wenn sie sich nach vorne lehnte. Ich musste etwas sagen, irgendetwas. Also griff ich nach dem letzten Strohhalm. "Kennst du Hiob?", fragte ich nervös und wusste selbst nicht, wieso ich jetzt dieses Thema wählte. Sie hörte auf sich zu bewegen und starrte mich verwundert an. Dann begann sie zu lachen. "Fängst du jetzt an, von der Bibel zu erzählen?", fragte Dana und musste weiter kichern.
Ich beachtete es nicht und erzählte weiter: "Hiob hat alles verloren. Seine Familie wurde krank und dann starben sie...auch Hiob wurde krank. Doch er gab nicht auf und hielt an seinem Glauben fest. Gott belohnte ihn dafür mit Glück. Es wurde alles gut."
Dana hörte auf zu lachen und sah mich plötzlich ernst an. "Du glaubst doch nicht an diesen Mist", sagte sie nachdenklich. "Ich denke, es kann nicht schaden an etwas zu glauben. Gott möchte ganz sicher nicht, dass du springst. Eine Freundin sagte einmal zu mir, das Leben wäre wie ein Trailer. Nenne es wie du willst...Vorbereitung, Test. Gott gibt uns keinen Test, der zu schwer für uns ist...und ich weiß nicht, wieso ich das alles hier sage...es fühlt sich richtig an. Manchmal wünschte ich, unsere Tests wären leichter aber vielleicht sollte man einfach mal lernen, anstatt direkt aufzugeben." Ich holte verzweifelt Luft und sah Dana tief in ihre Augen. Irgendetwas an ihrem Blick hatte sich verändert. "Das sagt das Mädchen, dass vor wenigen Wochen noch auf der Intensivstation im Krankenhaus lag und wiederbelebt werden musste", meinte Dana leise und schaute auf ihre Schuhe. Autsch. Ja, ich wollte mich umbringen aber irgendwie habe ich doch die Kurve gekriegt. Ehrlich gesagt, wollte ich auch nicht darüber nachdenken.
"Und jetzt stehe ich hier und lebe. Vielleicht sind wir deshalb befreundet, um uns gegenseitig am Leben zu erhalten. Solange dein Herz schlägt, schlägt meins", stellte ich entschlossen fest und ich wusste, damit hatte ich gewonnen. Dana kletterte wieder über das Geländer und schloss mich in ihre Arme.

Ich nahm sie mit zu mir nach Hause und machte uns heiße Schokolade. Wir kuschelten uns unter die Decke und sahen uns die zweite Staffel von "The walking Dead" an. Dabei diskutierten wir darüber, welcher Seriencharakter am besten war. "Ich kann nicht fassen, dass du Shane besser findest, als Rick!", rief Dana lachend aus und schüttelte den Kopf. "Ich habe nie gesagt, das ich ihn besser finde! Aber Shane trifft immer gute Entscheidungen, die die Gruppe am Leben erhalten. Außerdem steh ich auf das Auto...ich will das auch haben", erklärte ich und deutete lachend auf den Hyundai, an dem Shane grade lehnte. "Du hast bald Geburtstag. Wünsch dir das doch...vielleicht hast du ja Glück", schlug Dana grinsend vor. Jetzt musste ich lachen. "Ja, vielleicht habe ich Glück. Dann nenne ich mein Auto Shane und nicht Rick. Aus Prinzip!", sagte ich und hob meine Tasse mit der heißen Schokolade. Dana tat es mir gleich und wiederholte: "Aus Prinzip!"

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