Donnerstag, 18. Februar 2016
Serbien
So viele Bücher und so wenig Platz. Meine Schränke waren bis oben hin mit Büchern gefüllt. Deshalb versuchte ich umzuräumen. Dabei entdeckte ich mein altes Urlaubs-Tagebuch.
Es erinnerte mich an eine andere Welt...an die schönste Zeit meines Lebens. Sechs Wochen in Serbien.
Während ich darin blätterte, kamen Erinnerungsfetzen hoch...

Es gab nur meine Familie und mich. Wir fuhren in einem großen Wohnmobil nach Serbien. Die Heimat meines Stiefvaters. Wie schön war die Vorstellung gewesen, mit meiner Mutter und meinen drei kleinen Geschwistern zusammen zu sein. Es würde das erste Mal sein.
Die Fahrt dauerte zwei Tage. Je näher wir unserem Ziel kamen, desto heißer wurde es im Wohnmobil. Man gewöhnte sich allerdings schnell an die Hitze, denn die Luft tat einem wirklich gut.
Ich traute meinen Augen nicht, als ich das wunderschöne und große Haus sah, dass mein Stiefvater dort gebaut hatte. Sie hatten ein riesen Grundstück und das Gebäude glich einer Villa.
Dort würde ich also meine Sommerferien verbringen...es war traumhaft.
Jeder Tag war wunderbar! Ich wachte mit meiner Familie auf und genoss das schöne Wetter. Wir sprangen jeden Tag in den Pool und hatten einfach nur Spaß. Das Dorf lag in einem Tal, sodass man manchmal etwas Donnern hörte. Doch das Gewitter kam nie über die Berge zu uns. Wir waren in Sicherheit.
Ich weiß noch, eines Morgens ging ich alleine auf Erkundungstour. Der Feldweg hinter dem Haus führte zu einem Waldstück, der zu einem tiefen Bach führte. Die Landschaft war atemberaubend. Ich nahm meinen Sommerhut ab, der mir aus den Fingern glitt und im Bach landete. Kurz bevor ich rein ging, um ihn herauszuholen merkte ich, wie jemand hinter mir stand. Es war unser Nachbar. Er hatte das Haus direkt hinter unserem und soweit ich mich erinnerte, hieß er Nemanja und war in meinem Alter. Nemanja war natürlich dunkler als ich und hatte schwarzes Haar. Er sah aus, wie einer von den Wolfsjungen aus "Twilight". Ich begrüßte ihn und fragte mich, was ich sagen sollte. Immerhin konnte ich kein Serbisch. Also sagte ich, das erst Beste was mir einfiel: "Ja sam stranac." Was soviel hieß, wie: "Ich bin Ausländer." Damit konnte ich wohl jedes Eis zum brechen bringen, denn er fing sofort an zu lachen. "Merkt man", sagte er, nachdem er fertig war. Unglaublich...der konnte auch noch Deutsch. Zwar hatte er einen sehr starken Akzent aber er konnte die Sprache. "Du kannst Deutsch?", fragte ich. Vielleicht konnte er ja auch nur paar Sätze, wie ich auf Serbisch. "Das lernen wir in der Schule. Also manche", antwortete er freundlich. "Du kannst da nicht rein. Das ist gefährlich", stellte er fest und zeigte in eine Ecke des Baches. Irgendwas bewegte sich im Wasser. Es sah aus...wie ein Krokodil! Natürlich konnte ich mich auch irren aber jetzt hatte ich Angst. Nemanja holte einen langen Ast und fischte meinen Hut aus dem Bach.
Nach der Sache sahen wir uns erst einmal paar Tage nicht mehr aber das tat meiner Stimmung keinen Abbruch. Alles war nach wie vor perfekt.

Eines Abends half ich meinem Stiefvater den Rasen zu gießen und davon gab es viel auf dem Grundstück. Dabei bemerkte ich, wie Nemanja sich auf seine Terrasse setzte und Cola trank. Ich hatte wohl einen Moment zu lange hingesehen, denn mein Stiefvater bemerkte meine Blicke. Er zielte mit dem Gartenschlauch auf mich und ich bekam einen kalten Wasserstrahl an die Beine, der mich aufs andere Grundstück beförderte. Die Grundstücke waren hier nur mit kleinen Steinen markiert. Nemanja grinste und bot mir eine Cola an. Das konnte ich nicht ausschlagen.
Wir unterhielten uns den ganzen Abend mit gebrochenem Deutsch und Englisch. Dabei tranken wir ein Glas Cola nach dem anderen. Irgendwann zündete mein Stiefvater ein Lagerfeuer auf seinem Grundstück an und wir gingen rüber, um uns dazu zu setzen. Sie unterhielten sich über alte Geschichten des Dorfes und ich schaute in den Himmel.
Es waren Millionen Sterne, die am Nachthimmel sichtbar wurden. Einer leuchtete heller, als der andere. So viele Sterne hatte ich noch nie gesehen. Doch...es war kein Mond zu sehen. "Es gibt Nächte, in denen es hier keinen Mond gibt. Die Dorfbewohner sagen, man kann in diesen Nächten am besten schlafen", erklärte mein Stiefvater. Keinen Mond? Das konnte ich nicht glauben. "Soll ich dir das zeigen?", fragte Nemanja aufgeregt.
Er holte tatsächlich ein Motorrad raus und dann fuhren wir los. Zunächst hatte ich Angst, weil ich nie zuvor auf einem Motorrad gesessen hatte. Doch dann, als ich mich an Nemanja festhielt und die Landschaft betrachtete, die an uns vorbeihuschte, machte es mir Spaß. Wir fuhren auf einen Berg. Dort stiegen wir ab und gingen an den Rand, von dem aus man einen wunderbaren Blick auf den ganzen Himmel hatte. Es gab Millionen Sterne aber keinen Mond...ich konnte es nicht fassen.

Die Tage vergingen und ich freute mich immer wieder, wenn ich Zeit mit meiner Familie verbrachte. Jeden Tag brachten uns die Nachbarn Essen, obwohl wir eigentlich genug hatten. Aber so war wohl die Kultur dort. Jeden zweiten Tag feierten die Menschen im Dorf irgendeinen Feiertag und es gab immer einen großen Basar. Nemanja zeigte mir das ganze Dorf und wir verbrachten auch viel Zeit miteinander.
Ein Hauptnahrungsmittel dort, schien Mais zu sein. Doch Nemanja kaufte den Mais für die Nachbarschaft nicht...er klaute ihn vom Bauern. Jede Woche nahm er einen Rucksack und verschwand. Kurze Zeit später lieferte er jedem in der Nachbarschaft eine große Portion Mais. Einmal wartete ich, bis er wieder kam. "Das nächste Mal will ich mitkommen", gestand ich aufgeregt. "Ja, wenn du rennen kannst", lachte er und zwinkerte mir zu.
Bald darauf war es soweit und ich begleitete ihn.
Wir gingen zu Fuß über einen Waldweg, bis ein großes Maisfeld auftauchte. Es war weder gesichert, noch überwacht. Das wunderte mich nicht, stand aber im Widerspruch zudem, was Nemanja mir vorher noch gesagt hatte. Ich musste rennen können.
Er stopfte den Rucksack voll mit Mais. Plötzlich hörten wir ein lautes Bellen und ein Knurren. Nemanja sah mich erschrocken an, nahm meine Hand und sprintete los. Was sollten Hunde denn schon anrichten? Plötzlich sprinteten zwei Hunde hinter uns her. Ich drehte mich um und erkannte, dass es zwar Hunde waren, sie sahen aber aus wie Bestien. Mit gefletschten Zähnen rasten sie auf uns zu. Die waren zu schnell! Nemanja lies meine Hand los, bückte sich nach einem Stein und warf ihn mit voller Wucht gegen den schwarzen Hund. Der jaulte auf und dann lief Nemanja schreiend auf die Hunde zu und schubste einen weg. Die Hunde gaben auf und zogen sich zurück.
Zum Glück.
"Die Hunde sind anders, als in Deutschland", stellte Nemanja atemlos fest, als er wieder bei mir war.
Das nächste Mal, würde ich den Mais einfach kaufen.

Ich werde die Zeit in Serbien wohl nie vergessen...
Es war wunderschön das Lachen meiner Mutter zu hören. Zu sehen, wie viel Spaß meine Geschwister hatten. Ich hatte dort neue Freunde gefunden und neue Erfahrungen gemacht. Dort funktionierte weder mein Handy, noch das Internet. Es gab nur uns in meiner Welt. Meine Anfälle waren für ganze sechs Wochen verschwunden.
Die Luft dort tat mir gut und die Sonne auch.
Die Menschen dort waren wunschlos glücklich und scheuten sich nicht davor, Liebe zu zeigen.
Das Verhältnis zu meiner Mutter war ein anderes...es war warm und wohltuend.
Nie werde ich diese Zeit vergessen. Nie werde ich vergessen, wie ich lernte glücklich zu sein.

... link


Die Macht der Träume
Ich konnte es nicht glauben. Marvin stand vor meiner Haustüre und hatte einen Strauß Rosen in der Hand. Es war ein milder Wintertag und die Sonne schien ihm ins Gesicht. "Was ist denn jetzt los?", fragte ich überrascht. "Ich hab nachgedacht. Es tut mir leid und ehrlich gesagt vermisse ich dich auch. Ich hätte einfach kämpfen sollen...hoffentlich ist es nicht zu spät", sagte er liebevoll und drückte mir die Blumen in die Hand.
Nachdem ich die Rosen in eine Vase gestellt hatte, beschlossen wir spazieren zu gehen. Wer hätte das gedacht? Vielleicht wurde ja doch alles besser.
Wir gingen die Straßen entlang, die kaum befahren waren und kamen schließlich zu einer großen Brücke. "Wollen wir mal was verrücktes machen? Ich weiß, dass du Höhenangst hast aber vertrau mir einfach", wies mich Marv an und nahm meine Hand. Die Brücke war echt nicht so hoch...vielleicht würde ich es schaffen, ohne in Panik zu verfallen. Außerdem war ich froh, dass ich Marv wieder an meiner Seite hatte.
Wir gingen langsam die Bücke hinauf und ein sanfter Wind umspielte meine Haare. In der Mitte der Brücke blieb Marv stehen und lehnte sich an das Geländer. "Siehst du? Es ist gar nicht so schlimm. Ich bin echt froh dich wieder zu haben", bemerkte er sanft. "Ich bin auch richtig froh. Es tut mir auch leid, dass ich manchmal so kompliziert bin", entschuldigte ich mich und sah nach unten. Es war gar nicht so tief und direkt neben der Brücke erhob sich ein Dach, auf dem Stühle aufgestellt waren. Plötzlich kletterte Marv über das Geländer und hielt mir seine Hand hin. "Komm! Von hier aus kann man auf das Dach springen. Wir können uns dorthin setzen", schlug er glücklich vor. Ich erstarrte. Was? "Bist du verrückt? Ich springe nicht auf das Dach...", stellte ich entgeistert fest und entfernte mich etwas vom Geländer. Doch er packte mich schon an meiner Hand. "Das ist nicht schlimm Große, du schaffst das! Oder liebst du mich nicht?" Da dämmerte es mir...der echte Marv würde mich nie dazu zwingen, von einer Brücke zu springen. Das war nicht real...
Ich sah mich um und stellte fest, dass wir komplett alleine waren auf der Straße. Es fuhren keine Autos und keine Menschen kamen an uns vorbei. Ich sah keine Vögel oder sonst ein Lebenszeichen. Das war ein Traum...
Ich wollte meine Hand wegziehen aber er hielt sie immer fester. Er wollte mich über das Geländer ziehen und sein Gesichtsausdruck wurde immer finsterer. "Lass mich los...du bist nicht echt!", schrie ich ihn an. "Was wirfst du mir vor? Ich dachte du liebst mich! Jetzt musst du auch kämpfen!", brüllte er zurück und zog mich zu sich.
Plötzlich wurde ich von etwas nach hinten gezogen.
Alles wurde dunkel.

"Wach auf! Verdammt nochmal!", schrie Noah verzweifelt und ich kam zu mir. Oh nein...
Als ich mich umsah bemerkte ich, dass ich auf dem Balkon der WG stand. Direkt am Geländer...was war hier los? Wollte ich da etwa runterspringen? Noah hielt mich an beiden Oberarmen fest und war sichtlich erleichtert, als ich wach wurde. Tränen schossen mir in die Augen...ich war so ein Freak!
Er schloss mich in seine Arme und versuchte mich zu beruhigen. "Bitte sag mir nicht, dass ich da runter springen wollte", flehte ich weinerlich und drückte mein Gesicht an seine Schulter. "Wir werden eine Lösung finden...", versicherte er mir leise.
Es war früh am Morgen und nach der Aktion wollte ich wirklich nicht mehr schlafen gehen. Also tranken wir zusammen einen Kaffee und machten uns danach fertig.
"Wenn ich mich beeile, dann schaffe ich es noch zu meinem Geschichtskurs", sagte ich, nachdem ich fertig aus dem Bad kam. Noah stand im Flur und nickte. "Ich fahre dich."

Im Auto sprachen wir kaum ein Wort. Eigentlich war ich sauer auf ihn, wegen den Geheimnissen, die er vor mir hatte. Doch aus irgendeinem Grund war er immer zur Stelle, wenn ich im Begriff war, etwas total dummes zu tun. Und Marv? Es machte mich fertig...während des Traums dachte ich tatsächlich, ich hätte ihn wieder. Es fühlte sich so schön an.
Doch als ich genauer über den Traum nachdachte, war es in der Tat zu schön, um wahr zu sein.
Mein Unterbewusstsein hatte versucht mich auszutricksen...oder? Was waren das für Anfälle und wieso waren meine Träume so...lebendig?
Noch mehr Fragen für meine Liste.
Nach langem Schweigen sah ich Noah neugierig an. "Woher weißt du immer, wenn ich in Schwierigkeiten bin? Das ist echt krass", bemerkte ich dankbar.
"Vielleicht ist das ein Zeichen", sagte er und schaute mich dabei ernst an.
"Ein Zeichen? Für was?"
Er hielt an einer roten Ampel und setzte sein schiefes Lächeln auf.
"Flieg mit mir nach Amerika."

... link