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Sonntag, 15. Mai 2016
Ablenkung
moonlight13, 21:25h
Ich sollte nicht hier sein aber ich war es. Während ich an dem Küchentisch lehnte und meine Arme verschränkte, öffnete Marvin den Kühlschrank und suchte etwas. Kurze Zeit später stellte er eine laktosefreie Milch auf den Tisch. Anschließend kramte er einen Mixer und eine Packung Kekse hervor. Mir war sofort klar, was er machen wollte. „Du hast mir mal erzählt, wie sehr du Oreo-Shakes magst. Ich hoffe die Milch ist gut, weil du ja diese Allergie hast…“, erzählte er vor sich hin. Ja, die Milch war gut aber diese Situation nicht. Damals hatten wir mehrere Chancen gehabt, eine Beziehung zu führen. Aber die Drogen waren ihm wichtiger gewesen und jetzt ist es zu spät. Als er mich anrief, wollte ich erst nicht dran gehen…aber diese verdammte Neugier. Sie brachte mich dazu Dinge zu tun, die eigentlich dumm waren. Wie er vor mir stand, in seiner kleinen Küche. Er trug das schwarz-rote Oberteil, welches wir zusammen gekauft hatten. Ich konnte immer noch nicht sagen, ob seine Haare jetzt dunkelblond oder hellbraun waren. Doch ich tippte eher auf das Blond. Seine Augen besaßen eine faszinierende Mischung aus grün, blau und grau. Ohne weiter auf eine Antwort von mir zu warten, schmiss er alle Zutaten in den Mixer. Während er dies tat, fummelte ich nervös an den Ärmeln meiner schwarzen Strickjacke herum. Wie immer tat ich etwas, wovon ich keine Ahnung hatte, welche Auswirkungen es auf mich haben könnte. Nachdem der Mixer fertig war, goss Marvin die Flüssigkeit in zwei Gläser und reichte mir eins. „Ich muss dir was erklären“, fing er an. In dem Moment kam seine Mutter in die Küche. Na super…
„Wow, da hat der Marvin sich ja echt Mühe gegeben“, staunte sie über ihren Sohn, als sie die Shakes sah. „Also sowas macht er nicht für alle Mädchen. Das muss Liebe sein.“ Die Mutter sah mich mit ihren großen, blauen Augen an, als erwartete sie eine Zustimmung von mir. Liebe? Diese Aktion war doch noch lange kein Liebesbeweis. Es war klar, dass die Mutter ihrem Sohn nur helfen wollte aber es brachte das Gegenteil. Augenblicklich fühlte ich mich in die Enge getrieben. „Mama…“, jammerte Marvin genervt und deutete ihr, aus der Küche zu gehen. Die Mutter beäugte mich seltsam und verschwand aus dem Raum. Ich wollte nicht unhöflich sein aber was sollte man zu so einer Aussage sagen? „Wieso sollte ich hier hin kommen?“, fragte ich, nachdem ich einen Schluck getrunken hatte. Der Shake war gar nicht so schlecht. Dennoch rührte Marvin seinen gar nicht erst an. „Meine Mutter hat Recht…ich liebe dich. Hör zu, ich bin sehr schlecht mit dir umgegangen. Die Drogen…haben mich vollkommen verändert. Wirklich, so war ich vorher nicht!“, beteuerte er und holte Luft. „Ich werde damit aufhören und mich bessern. Ich verspreche es dir. Du machst, dass ich mich ändern möchte. Du machst mich zu einem besseren Menschen.“ Jetzt war es an mir Luft zu holen. Ich kannte diesen Satz aus einen meiner Lieblingsromane. Entweder hatte er denselben Roman gelesen und versuchte mich mit diesem Satz zu ködern oder es war purer Zufall. Ein Spiel des Schicksals. Ich stellte das Glas auf den Tisch und warf ihm einen ernsten Blick zu. „Das mit den Drogen ist deine Entscheidung. Wenn du weiter machen möchtest, mach es. Wenn nicht, lass es bleiben. Aber wegen mir musst du dir keine Gedanken machen“, bemerkte ich entschlossen. „Du musst wegen mir auch kein besserer Mensch werden. Wenn du einer werden willst, dann wegen dir! Ich bin selbst kein guter Mensch.“ Keiner sollte sich an mir orientieren. Dabei fühlte ich mich nicht gut. Es bedeutete zu viel Verantwortung für mich. „Du verstehst das nicht…“, unterbrach er mich. Er wollte meine Hand nehmen aber ich zog sie weg. „Die anderen Mädchen hätten nie das geschafft, was du geschafft hast! Du hast mich dazu gebracht nachzudenken. Ich möchte es für mich tun…mich ändern. Aber du hast mich dazu gebracht. Wie ein Engel.“ Plötzlich fand ich mich selbst in einem Roman wieder. Nur leider war ich das Arschloch in dieser Geschichte. Verwirrt und versunken in einem Gefühlschaos. Die Schmerzen, die mich wiedermal seit Tagen quälten, tauchten auf. Es waren starke Schmerzen im Unterleibbereich, die für mich nicht gewöhnlich waren. Deshalb hatte ich in einer Stunde einen Termin beim Arzt gemacht. Nicht nur deshalb wollte ich das Haus schnell verlassen…die Sache spitzte sich zu. „Du kannst von einem Menschen nicht verlangen dein emotionaler Spielball zu sein. Du hast mich echt verletzt“, gestand ich. Das sagte grade die Richtige, benutzte doch ich die meisten Menschen in meiner Umgebung. Ich war die Meisterin in diesem Spiel.
Als Frau waren Unterleibschmerzen nichts Ungewöhnliches aber mit dieser Diagnose hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Ich saß im Auto und zitterte noch am ganzen Körper. Vielleicht würde ich niemals eine Familie gründen können…
Eigentlich sollte ich Noah anrufen und mit ihm darüber sprechen aber ich konnte es nicht. Deshalb tippte ich eine Nachricht an Enrico: >>Ich hab Lust auf einen Nachtisch…<< Ich saß solange im Auto, bis eine Antwort kam. Es dauerte etwa zehn Minuten. >>Aufgrund deines Freundes gehe ich davon aus, dass du das Essen meinst. Und aufgrund der vielen Punkte denke ich, dass es dir nicht gut geht. Komm vorbei und ich zauber dir etwas! :-D<< Etwas Süßes konnte jetzt nicht schaden. Das Restaurant war zwar eine Stunde Autofahrt entfernt aber ich brauchte die Straße, einfach um einen freien Kopf zu kriegen.
Enrico hielt, was er mir versprochen hatte. Ich bekam warme Brownies mit Vanilleeis serviert. Wir saßen in der hintersten Ecke des Restaurants. Er trug diesmal nicht seine Uniform, sondern ein normales rotes Oberteil und eine Jeans. „Ich hab heute eigentlich frei aber für dich hab ich eine Ausnahme gemacht. Schließlich hab ich doch angeboten, dir einen Nachtisch zu servieren“, stellte Enrico fest, während ich aß. Es schmeckte wahnsinnig lecker. „Willst du mir jetzt erzählen, was los ist?“ Wieso eigentlich nicht? Ich mochte Enrico und brauchte jemanden zum reden. Also erzählte ich eine Kurzversion meiner Lebensgeschichte und von meinem Arztbesuch. Er hörte aufmerksam zu und nickte zwischendurch immer mal wieder. Am Ende herrschte kurze Stille. „Aber das war doch noch keine End-Diagnose. Es ist noch alles möglich. Mach dir da erst einmal keinen Kopf, denn du hast schon genug Sorgen“, kommentierte er meinen Arztbesuch nachdenklich. „Und was die anderen Sachen angeht…ich denke, jeder Satz wäre jetzt bedeutungslos im Vergleich dessen, welche Bedeutung die Ereignisse für dich haben.“ Beinahe hätte ich mich an meinem Brownie verschluckt. Ehrlich gesagt war ich ziemlich überrascht. Jeder Mensch reagierte anders auf meine Lebensgeschichte. Doch diese Reaktion war echt klasse, denn weder verurteilte er mich, noch versuchte er mich mit öden Sätzen zu trösten. „Ich find´s echt cool, dass wir uns kennengelernt haben“, gab ich zu und lächelte. „Ich erst! Du bist interessant. Sehr sogar“, bemerkte er und lächelte ebenfalls. „Aber eine Frage habe ich noch…wieso bist du mit deinen Problemen grade nicht zu deinem Freund gegangen?“ Das war eine gute Frage…aber ich kannte die Antwort. „Soll ich ehrlich sein? Auch wenn die Wahrheit beinhaltet, dass ich vielleicht einen Knall habe?“ Enrico nickte bestimmt, also sprach ich weiter. „Noah kennt meine Probleme. Unsere ganze Beziehung ist das Resultat aus vielen Problemen, die uns zusammengeführt haben. Deshalb hat es auch so lange gedauert, bis wir zusammen gekommen sind. Wenn man jeden Tag Pech hat und eine Person kennen lernt, dann erkennt man das Glück darin entweder gar nicht oder erst spät. Wie du sagtest, es ist keine End-Diagnose. Es kann sein aber es ist noch nicht. Ich will das kleine Stück Glück nicht kaputt machen, welches wir uns aufgebaut haben“, erklärte ich. „Außerdem…ich finde es interessant.“ Enrico sah mich fragend an. „Was findest du interessant?“ Ich legte meinen Kopf schief und schaute ihm tief in die Augen. „Ich finde die Reaktionen interessant, wenn ich einer fremden Person meine Lebensgeschichte erzähle. Jeder Mensch reagiert darauf anders. Und ich liebe es Menschen zu analysieren und sie zu beobachten. Es hört sich krank an aber es ist spannend.“ Da war sie wieder: Die coole Reaktion von Enrico. In seinem Gesicht bildete sich ein breites Grinsen. „Das wird echt ne coole Freundschaft“, sagte er entschlossen.
Nachdem ich aufgegessen hatte, gingen wir raus, um spazieren zu gehen. Die Landluft roch herrlich nach frischen Blumen, während die Sonne unterging und es etwas kälter wurde. Enrico und ich unterhielten uns noch lange über dies und jenes. Es machte mir Spaß mehr Dinge über ihn zu erfahren, so wurde ich wieder gut abgelenkt. Und Ablenkung war eine meiner Konstanten, die mich am Leben erhielten.
„Wow, da hat der Marvin sich ja echt Mühe gegeben“, staunte sie über ihren Sohn, als sie die Shakes sah. „Also sowas macht er nicht für alle Mädchen. Das muss Liebe sein.“ Die Mutter sah mich mit ihren großen, blauen Augen an, als erwartete sie eine Zustimmung von mir. Liebe? Diese Aktion war doch noch lange kein Liebesbeweis. Es war klar, dass die Mutter ihrem Sohn nur helfen wollte aber es brachte das Gegenteil. Augenblicklich fühlte ich mich in die Enge getrieben. „Mama…“, jammerte Marvin genervt und deutete ihr, aus der Küche zu gehen. Die Mutter beäugte mich seltsam und verschwand aus dem Raum. Ich wollte nicht unhöflich sein aber was sollte man zu so einer Aussage sagen? „Wieso sollte ich hier hin kommen?“, fragte ich, nachdem ich einen Schluck getrunken hatte. Der Shake war gar nicht so schlecht. Dennoch rührte Marvin seinen gar nicht erst an. „Meine Mutter hat Recht…ich liebe dich. Hör zu, ich bin sehr schlecht mit dir umgegangen. Die Drogen…haben mich vollkommen verändert. Wirklich, so war ich vorher nicht!“, beteuerte er und holte Luft. „Ich werde damit aufhören und mich bessern. Ich verspreche es dir. Du machst, dass ich mich ändern möchte. Du machst mich zu einem besseren Menschen.“ Jetzt war es an mir Luft zu holen. Ich kannte diesen Satz aus einen meiner Lieblingsromane. Entweder hatte er denselben Roman gelesen und versuchte mich mit diesem Satz zu ködern oder es war purer Zufall. Ein Spiel des Schicksals. Ich stellte das Glas auf den Tisch und warf ihm einen ernsten Blick zu. „Das mit den Drogen ist deine Entscheidung. Wenn du weiter machen möchtest, mach es. Wenn nicht, lass es bleiben. Aber wegen mir musst du dir keine Gedanken machen“, bemerkte ich entschlossen. „Du musst wegen mir auch kein besserer Mensch werden. Wenn du einer werden willst, dann wegen dir! Ich bin selbst kein guter Mensch.“ Keiner sollte sich an mir orientieren. Dabei fühlte ich mich nicht gut. Es bedeutete zu viel Verantwortung für mich. „Du verstehst das nicht…“, unterbrach er mich. Er wollte meine Hand nehmen aber ich zog sie weg. „Die anderen Mädchen hätten nie das geschafft, was du geschafft hast! Du hast mich dazu gebracht nachzudenken. Ich möchte es für mich tun…mich ändern. Aber du hast mich dazu gebracht. Wie ein Engel.“ Plötzlich fand ich mich selbst in einem Roman wieder. Nur leider war ich das Arschloch in dieser Geschichte. Verwirrt und versunken in einem Gefühlschaos. Die Schmerzen, die mich wiedermal seit Tagen quälten, tauchten auf. Es waren starke Schmerzen im Unterleibbereich, die für mich nicht gewöhnlich waren. Deshalb hatte ich in einer Stunde einen Termin beim Arzt gemacht. Nicht nur deshalb wollte ich das Haus schnell verlassen…die Sache spitzte sich zu. „Du kannst von einem Menschen nicht verlangen dein emotionaler Spielball zu sein. Du hast mich echt verletzt“, gestand ich. Das sagte grade die Richtige, benutzte doch ich die meisten Menschen in meiner Umgebung. Ich war die Meisterin in diesem Spiel.
Als Frau waren Unterleibschmerzen nichts Ungewöhnliches aber mit dieser Diagnose hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Ich saß im Auto und zitterte noch am ganzen Körper. Vielleicht würde ich niemals eine Familie gründen können…
Eigentlich sollte ich Noah anrufen und mit ihm darüber sprechen aber ich konnte es nicht. Deshalb tippte ich eine Nachricht an Enrico: >>Ich hab Lust auf einen Nachtisch…<< Ich saß solange im Auto, bis eine Antwort kam. Es dauerte etwa zehn Minuten. >>Aufgrund deines Freundes gehe ich davon aus, dass du das Essen meinst. Und aufgrund der vielen Punkte denke ich, dass es dir nicht gut geht. Komm vorbei und ich zauber dir etwas! :-D<< Etwas Süßes konnte jetzt nicht schaden. Das Restaurant war zwar eine Stunde Autofahrt entfernt aber ich brauchte die Straße, einfach um einen freien Kopf zu kriegen.
Enrico hielt, was er mir versprochen hatte. Ich bekam warme Brownies mit Vanilleeis serviert. Wir saßen in der hintersten Ecke des Restaurants. Er trug diesmal nicht seine Uniform, sondern ein normales rotes Oberteil und eine Jeans. „Ich hab heute eigentlich frei aber für dich hab ich eine Ausnahme gemacht. Schließlich hab ich doch angeboten, dir einen Nachtisch zu servieren“, stellte Enrico fest, während ich aß. Es schmeckte wahnsinnig lecker. „Willst du mir jetzt erzählen, was los ist?“ Wieso eigentlich nicht? Ich mochte Enrico und brauchte jemanden zum reden. Also erzählte ich eine Kurzversion meiner Lebensgeschichte und von meinem Arztbesuch. Er hörte aufmerksam zu und nickte zwischendurch immer mal wieder. Am Ende herrschte kurze Stille. „Aber das war doch noch keine End-Diagnose. Es ist noch alles möglich. Mach dir da erst einmal keinen Kopf, denn du hast schon genug Sorgen“, kommentierte er meinen Arztbesuch nachdenklich. „Und was die anderen Sachen angeht…ich denke, jeder Satz wäre jetzt bedeutungslos im Vergleich dessen, welche Bedeutung die Ereignisse für dich haben.“ Beinahe hätte ich mich an meinem Brownie verschluckt. Ehrlich gesagt war ich ziemlich überrascht. Jeder Mensch reagierte anders auf meine Lebensgeschichte. Doch diese Reaktion war echt klasse, denn weder verurteilte er mich, noch versuchte er mich mit öden Sätzen zu trösten. „Ich find´s echt cool, dass wir uns kennengelernt haben“, gab ich zu und lächelte. „Ich erst! Du bist interessant. Sehr sogar“, bemerkte er und lächelte ebenfalls. „Aber eine Frage habe ich noch…wieso bist du mit deinen Problemen grade nicht zu deinem Freund gegangen?“ Das war eine gute Frage…aber ich kannte die Antwort. „Soll ich ehrlich sein? Auch wenn die Wahrheit beinhaltet, dass ich vielleicht einen Knall habe?“ Enrico nickte bestimmt, also sprach ich weiter. „Noah kennt meine Probleme. Unsere ganze Beziehung ist das Resultat aus vielen Problemen, die uns zusammengeführt haben. Deshalb hat es auch so lange gedauert, bis wir zusammen gekommen sind. Wenn man jeden Tag Pech hat und eine Person kennen lernt, dann erkennt man das Glück darin entweder gar nicht oder erst spät. Wie du sagtest, es ist keine End-Diagnose. Es kann sein aber es ist noch nicht. Ich will das kleine Stück Glück nicht kaputt machen, welches wir uns aufgebaut haben“, erklärte ich. „Außerdem…ich finde es interessant.“ Enrico sah mich fragend an. „Was findest du interessant?“ Ich legte meinen Kopf schief und schaute ihm tief in die Augen. „Ich finde die Reaktionen interessant, wenn ich einer fremden Person meine Lebensgeschichte erzähle. Jeder Mensch reagiert darauf anders. Und ich liebe es Menschen zu analysieren und sie zu beobachten. Es hört sich krank an aber es ist spannend.“ Da war sie wieder: Die coole Reaktion von Enrico. In seinem Gesicht bildete sich ein breites Grinsen. „Das wird echt ne coole Freundschaft“, sagte er entschlossen.
Nachdem ich aufgegessen hatte, gingen wir raus, um spazieren zu gehen. Die Landluft roch herrlich nach frischen Blumen, während die Sonne unterging und es etwas kälter wurde. Enrico und ich unterhielten uns noch lange über dies und jenes. Es machte mir Spaß mehr Dinge über ihn zu erfahren, so wurde ich wieder gut abgelenkt. Und Ablenkung war eine meiner Konstanten, die mich am Leben erhielten.
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Kein Nachtisch
moonlight13, 16:52h
Ich verbrachte Stunden im Bad, nur um mich fertig zu machen. Meine Hände bastelten einen ordentlichen Dutt und ordentliche Lid-Striche, welche meine Augen besonders betonten. Nachdem ich das geschafft hatte, schlüpfte ich in mein schwarzes Cocktailkleid und in meine schwarzen Pumps. Alles war perfekt. Und wofür? Nur um in einem Restaurant zu sitzen und mir von meiner Familie das Leben zur Hölle machen zu lassen. Wir feierten den Geburtstag meines kleinen Bruders in einem Balkan-Restaurant. Meine ganze Familie war dort versammelt. Die Einrichtung des Restaurants war wunderschön. Die Wände bestanden aus Stein und waren mit Holz verziert. Es gab kleine, runde Fenster an der Decke, durch die Tageslicht schien. Mein kleiner Bruder war grade dabei meiner Familie zu zeigen, wie alt er geworden ist. Ständig hielt er den Leuten seine vier Finger vor ihr Gesicht. Wenigstens einer hatte heute seinen Spaß. Es war immerhin sein Tag. Meine Mutter verbrachte die Wartezeit auf das Essen damit, jedem zu erzählen, dass sie noch in diesem Jahr auswandern möchte. Ich kannte ihre Pläne bereits, trotzdem traf es mich immer wieder. Meine Familie verschwand erneut und ließ mich hier allein. Obwohl ich alt genug war, wollte ich nicht ohne meine Familie hier bleiben. Ich liebe meine Familie und die Zeit mit ihnen. Noah, der neben mir saß und an seiner Cola nippte, verspannte sich immer mehr. Ihm passte diese ganze Auswanderungsgeschichte ebenfalls nicht. Er wusste, wie sehr es mich belastete. Ich suchte seinen Blick und warf ihm ein Lächeln zu. Meine Probleme sollten heute keine Rolle spielen. Heute war der Tag meines kleinen Bruders. Also musste ich mich zusammenreißen. Dabei fiel mir auf, dass Noah in Anzug und Krawatte besonders gut aussah. Seine braunen Haare hingen immer noch wuschelig in alle Richtungen aber das machte ihn besonders hübsch. Er legte seine Hand auf meine und drückte sie leicht. Dann warf er mir sein typisches Noah-Lächeln zu. Ich liebe es!
Das Essen wurde gebracht und wenigstens da hörte meine Mutter auf über ihre Farm in Kanada zu sprechen. Ich versuchte möglichst Still zu bleiben, um bloß keine Eskalation hervorzurufen. Deshalb konzentrierte ich mich auf meinen norwegischen Lachs. Wieso musste meine Mutter mich immer wieder im Stich lassen? Hasste sie mich so sehr, dass sie extra auswandern musste, um mich nicht mehr zu sehen? Meine Kindheit hatte ich schon bei meinen Großeltern verbracht und jetzt, wo ich Erwachsen war, wollte sie mich auch nicht sehen? So viele Fragen aber eine Antwort darauf bekam ich nie. Jede Diskussion war zwecklos. Alle aßen ruhig vor sich hin. Nachdem meine Mutter ihren Teller geleert hatte, ging das ganze Thema jedoch von vorne los. Oh, verschone mich!
„Ich kann es kaum erwarten, bis ich endlich hier weg bin! Also merkt euch, wie ich aussehe. Wir werden uns dann sehr selten sehen. Kanada ist ja nicht um die Ecke“, stellte meine Mutter lachend fest. Jetzt lachte sie auch noch! Mein Besteck fiel mir aus den Händen und knallte auf meinen Teller. Alle Augen waren auf mich gerichtet. Sie warteten augenscheinlich nur darauf, dass mir der Kragen platzt. „Ich muss nur auf Klo“, log ich und stand auf. Ich ging durch das altmodische Lokal und steuerte die Haupttüre an. Draußen angekommen schnappte ich erschöpft nach Luft. Es war anstrengend sich zusammenzureißen. Meine Mutter machte es mir heute wirklich nicht leicht. Ein Kellner, welcher uns vorhin bedient hatte, räusperte sich neben mir. Er war ungefähr in meinem Alter und trug diese schicke Uniform, die hier alle trugen. Ein weißes Hemd mit einer schwarzen, dünnen Weste. Seine dunklen Haare hatte er mit Gel leicht nach oben fixiert. Der Kellner sah eher aus, wie ein Modell. Seine grünen Augen musterten mich neugierig, während ich an der Hauswand lehnte und bestimmt ziemlich verzweifelt aussah. „Alles in Ordnung mit dir?“, fragte er mich freundlich, nachdem eine Nikotin-Wolke aus seinem Mund gekommen war. Er schien grade Pause zu haben und er nutzte diese, um draußen zu rauchen. „War was mit dem Essen nicht in Ordnung?“, baute er seine Frage aus, als ich nicht antwortete, sondern nur auf seine linke Hand starrte, in der sich die Zigarette befand. Ich rauchte nicht und eigentlich hasste ich sogar nur den Geruch von Zigaretten. Aber manchmal hatte ich Phasen, in denen ich meine Prinzipien über Bord warf. Der Stress bekam mir nie gut. „Nein, das Essen war echt lecker“, sagte ich schließlich und atmete durch. „Meine Familie ist manchmal nur etwas anstrengend.“ Der Kellner nickte verständnisvoll und zog wieder an seiner Zigarette. „Ich bin Enrico“, stellte er sich anschließend vor. „Das hier ist nur dein Nebenjob, oder?“, wollte ich wissen. Er nahm einen Aschenbecher von dem Stehtisch neben sich und drückte seine Zigarette aus. Dann deutete er auf eine Bank neben dem Restaurant. Wir gingen dorthin und setzten uns. Die Sonne war grade dabei unterzugehen aber es war noch recht warm. Ich liebe den Frühling, nicht nur, weil ich dort Geburtstag habe. Es ist schön, wenn es wieder wärmer wird und die Blumen anfangen zu blühen. Alles wirkt so hoffnungsvoll. „Ja, eigentlich studiere ich aber als Student braucht man ja ein bisschen Kohle. Meinem Onkel gehört der Laden, deshalb kann ich hier arbeiten.“ Ich brauchte auch dringend einen Nebenjob, auch wenn ich noch nicht angefangen hatte zu studieren. Aber wenn man keine Kontakte hat, ist es schwerer an einen Job zu kommen. „Ich fange vielleicht auch bald an zu studieren aber meine Zukunft ist momentan ein einziges Fragezeichen“, bemerkte ich nachdenklich und schaute in den Himmel, der sich rosa färbte. „Wenn du studierst, kann ich dir ja ein paar Tipps geben. Also…wenn du mir deine Nummer geben möchtest“, bot Enrico schüchtern an. Noah würde ihm wahrscheinlich jetzt die Zähne raushauen. Es wäre aber nützlich jemanden zu haben, der sich auskennt. „Naja eigentlich gerne aber du musst wissen, dass ich einen Freund habe. Also…nicht das ich jetzt denke…aber ich möchte das trotzdem sagen“, stotterte ich nervös. Oh Mann, ich war echt schlecht in sowas. Enrico lächelte amüsiert und holte sein Handy aus seiner Westentasche. „Ist schon gut. Du bist mir einfach sympathisch und ich möchte dir nur helfen.“ Noah würde ausrasten aber es kam mir albern vor, ihm nicht meine Nummer zu geben. Immerhin konnte ich ja befreundet sein, mit wem ich wollte. Oder? In Beziehungsfragen war ich echt die falsche Adresse. Also tippte ich meine Nummer in Enricos Handy ein. „Die suchen mich bestimmt schon…oder vielleicht auch nicht.“ Ich musste verzweifelt anfangen zu lachen. „Was ist denn mit deiner Familie?“, fragte Enrico mitfühlend. „Wir sind keine“, stellte ich trocken fest.
Ich unterhielt mich noch einige Minuten mit Enrico, bis ich wieder durch das Lokal lief und auf unseren Tisch zusteuerte. Es tat gut, mit Enrico zu sprechen. Ablenkung tat immer gut. Ich wollte grade um die Ecke biegen, als ich meine Mutter am Tisch sprechen hörte. „Ich fühle mich nicht verantwortlich für sie! Wieso auch? Irgendwie war sie nie richtig meine Tochter. Es hat sich halt so entwickelt! Jetzt kann ich ja machen, was ich möchte. Wieso soll ich immer auf andere achten?“ Mir war sofort klar, dass sie über mich sprachen. Die Stimme meiner Mutter war so eiskalt und ohne Skrupel. Mein Herz setzte einen Schlag aus, nur um dann doppelt so schnell weiter zu schlagen. „Ich kann nicht verstehen, wie man so sprechen kann“, hörte ich Noah sagen. Anhand seiner Stimme machte ich fest, dass er kurz davor war auszurasten. Meine Augen wurden nass. Mit Mühe versuchte ich den Kloß runterzuschlucken, der sich in meiner Kehle gebildet hatte. Ich ging um die Ecke und starrte meine Mutter an. Sie wirkte erst überrascht und dann kalt, wie immer. Noah und alle anderen auch, folgten ihrem Blick und sahen mich mit unterschiedlichen Emotionen an. „Wo warst du denn so lange?“, fragte mein Stiefvater vom Tischkopf aus. Ihm schien die ernste Stimmung gar nicht aufzufallen. Ich ging zu meinem Platz und griff mit zitternder Hand nach meiner Tasche. Noah stand auf und folgte mir nach draußen. Ich ging, ohne auch nur ein Wort zu der Frau zu sagen, die bereit war, immer und immer wieder auf mich einzustechen.
Wir fuhren zurück zur WG. Ich wollte weder nach Hause, noch zu dem Haus meiner Mutter. Für mich war der Geburtstag gelaufen. So viel Selbstbeherrschung besaß ich nicht. Während der ganzen Fahrt liefen mir die Tränen über die Wange. Ich sah bestimmt wieder aus, wie ein Waschbär. Mein Mascara und mein Eyeliner waren nämlich nicht wasserfest. Kurz bevor wir ankamen fand ich meine Stimme wieder. „Sie hasst mich“, verkündete ich leise. Noah legte seine Hand auf meinen Oberschenkel und parkte neben der Hauptstraße. „Sie hasst sich selbst für all das, was sie dir angetan hat. Aber sie kann nicht damit aufhören. Es ist wie eine Sucht“, sagte er trocken. Ja, er war auch angepisst und das richtig. Meine Mutter brachte sogar ihn um den Verstand. „Vielleicht hast du recht“, flüsterte ich müde. „Natürlich hab ich das, Honey“, flüsterte er zurück und küsste mich sanft auf die Lippen.
Wir gingen in sein Zimmer, warfen erst die Klamotten ab und dann warfen wir uns ins Bett. Die Müdigkeit war stärker, als die Leere, welche ich fühlte. Anscheinend war ich das Gefühl schon gewohnt. Noah schlief als Erster ein, nachdem er seinen Arm um meine Taille gelegt hatte. Kurz bevor ich einschlief, leuchtete mein Handy auf. Es war eine Nachricht von Enrico. >>Schade…du hast einen leckeren Nachtisch verpasst aber ich denke deiner „Nicht-Familie“ ist auch der Appetit vergangen. Die sind kurz nach dir gefahren. Hoffe dir geht’s gut? << Lächelnd tippte ich ein: >> Das mit dem Nachtisch kann ich die Tage mal nachholen. Mir geht’s ganz in Ordnung, danke der Nachfrage. << Ich musste nicht lange auf die Antwort warten. >>Hahaha, ja mach das. Ich verspreche auch nicht in den Nachtisch zu spucken, wie ich das sonst immer mache, bevor ich serviere. Melde dich einfach mal. Ich muss jetzt echt ins Bett…deine „Nicht-Familie“ hat mich heute ziemlich viel laufen lassen! So viel Arbeit bin ich gar nicht gewohnt. Gute Nacht und träum schön. :-) << Ich schickte ihm auch eine „Gute Nacht“- Nachricht und legte dann das Handy weg. Danach drehte ich mich zu Noah und sah ihm noch einige Minuten beim schlafen zu, bevor ich selbst in das Land der Träume glitt. In dieser Nacht träumte ich von einem riesigen Erdbeerbecher mit Eis. Doch bevor ich ihn essen konnte, nahm meine Mutter den Becher weg und warf ihn gegen die Wand. Soviel zum Nachtisch…
Das Essen wurde gebracht und wenigstens da hörte meine Mutter auf über ihre Farm in Kanada zu sprechen. Ich versuchte möglichst Still zu bleiben, um bloß keine Eskalation hervorzurufen. Deshalb konzentrierte ich mich auf meinen norwegischen Lachs. Wieso musste meine Mutter mich immer wieder im Stich lassen? Hasste sie mich so sehr, dass sie extra auswandern musste, um mich nicht mehr zu sehen? Meine Kindheit hatte ich schon bei meinen Großeltern verbracht und jetzt, wo ich Erwachsen war, wollte sie mich auch nicht sehen? So viele Fragen aber eine Antwort darauf bekam ich nie. Jede Diskussion war zwecklos. Alle aßen ruhig vor sich hin. Nachdem meine Mutter ihren Teller geleert hatte, ging das ganze Thema jedoch von vorne los. Oh, verschone mich!
„Ich kann es kaum erwarten, bis ich endlich hier weg bin! Also merkt euch, wie ich aussehe. Wir werden uns dann sehr selten sehen. Kanada ist ja nicht um die Ecke“, stellte meine Mutter lachend fest. Jetzt lachte sie auch noch! Mein Besteck fiel mir aus den Händen und knallte auf meinen Teller. Alle Augen waren auf mich gerichtet. Sie warteten augenscheinlich nur darauf, dass mir der Kragen platzt. „Ich muss nur auf Klo“, log ich und stand auf. Ich ging durch das altmodische Lokal und steuerte die Haupttüre an. Draußen angekommen schnappte ich erschöpft nach Luft. Es war anstrengend sich zusammenzureißen. Meine Mutter machte es mir heute wirklich nicht leicht. Ein Kellner, welcher uns vorhin bedient hatte, räusperte sich neben mir. Er war ungefähr in meinem Alter und trug diese schicke Uniform, die hier alle trugen. Ein weißes Hemd mit einer schwarzen, dünnen Weste. Seine dunklen Haare hatte er mit Gel leicht nach oben fixiert. Der Kellner sah eher aus, wie ein Modell. Seine grünen Augen musterten mich neugierig, während ich an der Hauswand lehnte und bestimmt ziemlich verzweifelt aussah. „Alles in Ordnung mit dir?“, fragte er mich freundlich, nachdem eine Nikotin-Wolke aus seinem Mund gekommen war. Er schien grade Pause zu haben und er nutzte diese, um draußen zu rauchen. „War was mit dem Essen nicht in Ordnung?“, baute er seine Frage aus, als ich nicht antwortete, sondern nur auf seine linke Hand starrte, in der sich die Zigarette befand. Ich rauchte nicht und eigentlich hasste ich sogar nur den Geruch von Zigaretten. Aber manchmal hatte ich Phasen, in denen ich meine Prinzipien über Bord warf. Der Stress bekam mir nie gut. „Nein, das Essen war echt lecker“, sagte ich schließlich und atmete durch. „Meine Familie ist manchmal nur etwas anstrengend.“ Der Kellner nickte verständnisvoll und zog wieder an seiner Zigarette. „Ich bin Enrico“, stellte er sich anschließend vor. „Das hier ist nur dein Nebenjob, oder?“, wollte ich wissen. Er nahm einen Aschenbecher von dem Stehtisch neben sich und drückte seine Zigarette aus. Dann deutete er auf eine Bank neben dem Restaurant. Wir gingen dorthin und setzten uns. Die Sonne war grade dabei unterzugehen aber es war noch recht warm. Ich liebe den Frühling, nicht nur, weil ich dort Geburtstag habe. Es ist schön, wenn es wieder wärmer wird und die Blumen anfangen zu blühen. Alles wirkt so hoffnungsvoll. „Ja, eigentlich studiere ich aber als Student braucht man ja ein bisschen Kohle. Meinem Onkel gehört der Laden, deshalb kann ich hier arbeiten.“ Ich brauchte auch dringend einen Nebenjob, auch wenn ich noch nicht angefangen hatte zu studieren. Aber wenn man keine Kontakte hat, ist es schwerer an einen Job zu kommen. „Ich fange vielleicht auch bald an zu studieren aber meine Zukunft ist momentan ein einziges Fragezeichen“, bemerkte ich nachdenklich und schaute in den Himmel, der sich rosa färbte. „Wenn du studierst, kann ich dir ja ein paar Tipps geben. Also…wenn du mir deine Nummer geben möchtest“, bot Enrico schüchtern an. Noah würde ihm wahrscheinlich jetzt die Zähne raushauen. Es wäre aber nützlich jemanden zu haben, der sich auskennt. „Naja eigentlich gerne aber du musst wissen, dass ich einen Freund habe. Also…nicht das ich jetzt denke…aber ich möchte das trotzdem sagen“, stotterte ich nervös. Oh Mann, ich war echt schlecht in sowas. Enrico lächelte amüsiert und holte sein Handy aus seiner Westentasche. „Ist schon gut. Du bist mir einfach sympathisch und ich möchte dir nur helfen.“ Noah würde ausrasten aber es kam mir albern vor, ihm nicht meine Nummer zu geben. Immerhin konnte ich ja befreundet sein, mit wem ich wollte. Oder? In Beziehungsfragen war ich echt die falsche Adresse. Also tippte ich meine Nummer in Enricos Handy ein. „Die suchen mich bestimmt schon…oder vielleicht auch nicht.“ Ich musste verzweifelt anfangen zu lachen. „Was ist denn mit deiner Familie?“, fragte Enrico mitfühlend. „Wir sind keine“, stellte ich trocken fest.
Ich unterhielt mich noch einige Minuten mit Enrico, bis ich wieder durch das Lokal lief und auf unseren Tisch zusteuerte. Es tat gut, mit Enrico zu sprechen. Ablenkung tat immer gut. Ich wollte grade um die Ecke biegen, als ich meine Mutter am Tisch sprechen hörte. „Ich fühle mich nicht verantwortlich für sie! Wieso auch? Irgendwie war sie nie richtig meine Tochter. Es hat sich halt so entwickelt! Jetzt kann ich ja machen, was ich möchte. Wieso soll ich immer auf andere achten?“ Mir war sofort klar, dass sie über mich sprachen. Die Stimme meiner Mutter war so eiskalt und ohne Skrupel. Mein Herz setzte einen Schlag aus, nur um dann doppelt so schnell weiter zu schlagen. „Ich kann nicht verstehen, wie man so sprechen kann“, hörte ich Noah sagen. Anhand seiner Stimme machte ich fest, dass er kurz davor war auszurasten. Meine Augen wurden nass. Mit Mühe versuchte ich den Kloß runterzuschlucken, der sich in meiner Kehle gebildet hatte. Ich ging um die Ecke und starrte meine Mutter an. Sie wirkte erst überrascht und dann kalt, wie immer. Noah und alle anderen auch, folgten ihrem Blick und sahen mich mit unterschiedlichen Emotionen an. „Wo warst du denn so lange?“, fragte mein Stiefvater vom Tischkopf aus. Ihm schien die ernste Stimmung gar nicht aufzufallen. Ich ging zu meinem Platz und griff mit zitternder Hand nach meiner Tasche. Noah stand auf und folgte mir nach draußen. Ich ging, ohne auch nur ein Wort zu der Frau zu sagen, die bereit war, immer und immer wieder auf mich einzustechen.
Wir fuhren zurück zur WG. Ich wollte weder nach Hause, noch zu dem Haus meiner Mutter. Für mich war der Geburtstag gelaufen. So viel Selbstbeherrschung besaß ich nicht. Während der ganzen Fahrt liefen mir die Tränen über die Wange. Ich sah bestimmt wieder aus, wie ein Waschbär. Mein Mascara und mein Eyeliner waren nämlich nicht wasserfest. Kurz bevor wir ankamen fand ich meine Stimme wieder. „Sie hasst mich“, verkündete ich leise. Noah legte seine Hand auf meinen Oberschenkel und parkte neben der Hauptstraße. „Sie hasst sich selbst für all das, was sie dir angetan hat. Aber sie kann nicht damit aufhören. Es ist wie eine Sucht“, sagte er trocken. Ja, er war auch angepisst und das richtig. Meine Mutter brachte sogar ihn um den Verstand. „Vielleicht hast du recht“, flüsterte ich müde. „Natürlich hab ich das, Honey“, flüsterte er zurück und küsste mich sanft auf die Lippen.
Wir gingen in sein Zimmer, warfen erst die Klamotten ab und dann warfen wir uns ins Bett. Die Müdigkeit war stärker, als die Leere, welche ich fühlte. Anscheinend war ich das Gefühl schon gewohnt. Noah schlief als Erster ein, nachdem er seinen Arm um meine Taille gelegt hatte. Kurz bevor ich einschlief, leuchtete mein Handy auf. Es war eine Nachricht von Enrico. >>Schade…du hast einen leckeren Nachtisch verpasst aber ich denke deiner „Nicht-Familie“ ist auch der Appetit vergangen. Die sind kurz nach dir gefahren. Hoffe dir geht’s gut? << Lächelnd tippte ich ein: >> Das mit dem Nachtisch kann ich die Tage mal nachholen. Mir geht’s ganz in Ordnung, danke der Nachfrage. << Ich musste nicht lange auf die Antwort warten. >>Hahaha, ja mach das. Ich verspreche auch nicht in den Nachtisch zu spucken, wie ich das sonst immer mache, bevor ich serviere. Melde dich einfach mal. Ich muss jetzt echt ins Bett…deine „Nicht-Familie“ hat mich heute ziemlich viel laufen lassen! So viel Arbeit bin ich gar nicht gewohnt. Gute Nacht und träum schön. :-) << Ich schickte ihm auch eine „Gute Nacht“- Nachricht und legte dann das Handy weg. Danach drehte ich mich zu Noah und sah ihm noch einige Minuten beim schlafen zu, bevor ich selbst in das Land der Träume glitt. In dieser Nacht träumte ich von einem riesigen Erdbeerbecher mit Eis. Doch bevor ich ihn essen konnte, nahm meine Mutter den Becher weg und warf ihn gegen die Wand. Soviel zum Nachtisch…
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