Montag, 13. Juni 2016
Sturm der Emotionen
In meiner Religion heißt es, dass man verzeihen soll. Das Verzeihen der Schlüssel zum inneren Frieden ist. Mir wurde jedoch nie die Frage beantwortet, wie man verzeihen soll, wenn dein Gegenüber nicht bereit ist, den Fehler einzusehen und Reue zu zeigen. Meine Familie war mein Gegenüber. Während meiner ganzen Jugend hatten sie mich im Stich gelassen und mir sogar Steine in den ohnehin schon schwierigen Weg gelegt. Äußerlich hatte ich ihnen verziehen, obwohl sie sich nie entschuldigt hatten. Doch innerlich wütete ein Sturm der Wut, der in manchen Momenten drohte auszubrechen…
Dana wartete draußen auf mich, während ich in meinem Zimmer hin und her ging, um meine Handtasche zu packen. Hektisch rannte ich durch die Wohnung und war grade dabei meine Schuhe zu binden, als meine Oma an mir vorbei ging und abfällig schaute. „Wo gehst du wieder hin?“, wollte sie wissen und das nicht grade freundlich. Ich ahnte bereits, dass meine Selbstbeherrschung wieder auf die Probe gestellt werden würde. Nachdem ich mich fertig angezogen hatte, erhob ich mich. „Einkaufen“, antwortete ich knapp und wollte grade aus der Türe gehen. Kurz bevor ich die Türe hinter mir schließen konnte, meldete sie sich wieder zu Wort. „Ist dir deine Familie egal geworden? Du meldest dich nicht mehr bei deiner Mutter und zu Hause bist du auch nie“, warf sie mir zickig vor. Ja klar, weil meine Familie sich auch immer bei mir meldete. Und das war Ironie! Ich drehte mich zu meiner Oma, die im Flur stand und einen kalten Blick aufsetzte. „Was denn für eine Familie? Jetzt, wo ich Erwachsen bin melden sich alle. Aber wo waren alle, als ich euch nicht mal bis zu den Knien gereicht habe?!“, knurrte ich und bemühte mich leise zu sprechen. Meine Oma wurde wütend und marschierte in die Küche. Dabei fluchte sie lauthals. „Du bist so eine Lügnerin! Alle waren für dich da!“, hörte ich sie sagen. Komplette Ignoranz, so war ich es gewohnt. Ich sollte eine Lügnerin sein? Grade ich, die als Einzige in der Familie die Wahrheit sprach. Ich ging ihr hinterher in die Küche und baute mich vor ihr auf. „Alle waren für mich da? Lagst du die letzten 19 Jahre im Koma oder lebst du in einer Parallel-Welt von der ich nichts weiß?! Ihr habt mich allesamt im Stich gelassen und habt noch nicht mal den Anstand es zuzugeben! Ihr macht mich krank!“, jetzt brüllte ich. Die Wut übernahm meinen Körper. Sosehr, dass ich zitterte. Meine Oma setzte ihren eingebildeten Blick auf und stemmte die Hände in die Hüften. „Wir haben alles für dich getan! Du bist einfach ein sehr schwieriges Kind. So als wärst du ein Tier, wie dein Vater“, schrie sie angewidert. Ein Tier? Wie mein Vater? Nein, das war ich nicht aber wenn sie es wollte, konnte ich durchaus so sein. Jedes Wort, welches meine Oma in den letzten Jahren geschrien hatte, traf mich mitten ins Herz. Es tat mir weh aber ich ließ mir nichts mehr anmerken. „Es will nicht in eure Köpfe gehen, dass ihr mich so gemacht habt! Eure Abwesenheit und die nicht vorhandene Liebe haben mich gebrochen, bevor ich überhaupt ganz war! Ich werde nie vergessen, was ihr mir angetan habt. Nie!“, fuhr ich sie an und kam immer näher. „Ihr seid nicht meine Familie.“ Meine Oma wich etwas zurück und schnaubte vor Wut. Jemand betrat die Wohnung durch die Türe, die ich offen gelassen hatte. „Bist du bereit?“, hörte ich Dana sagen aber sie brach ab, als sie uns in der Küche stehen sah. Meine Oma schien sie zu ignorieren. „Ich hoffe nur, dass du Marvin nicht so behandelst, wie du alle behandelst. Du bist so ein Monster. Eric hat es erkannt und deshalb ist er gegangen! Und Marvin wird auch gehen!“ Oma sah mich herausfordernd an. Das hatte sie nicht umsonst gesagt! Ich sah Rot. Wütend ging ich auf sie zu und dachte nicht daran zu bremsen. Ich packte sie mit den Händen an den Schultern und schubste sie gegen die Wand. Irgendwer hielt mich plötzlich an den Armen fest. Dana. „Lass es gut sein, sie ist es nicht wert!“, schrie sie verzweifelt. „Sie kann dich zu keinem Menschen machen, der du nicht bist!“ Dana hatte recht, also entfernte ich mich etwas von meiner Oma, die stumm an der Wand lehnte. Meine Oma wusste, dass sie zu weit gegangen war aber natürlich würde sie es nicht zugeben. Dana zog mich vorsichtig aus der Küche. Mein Blick haftete jedoch immer noch auf meiner Oma. „Wer den Teufel in mir weckt, sollte sich mit Feuer verdammt gut auskennen. Die familiäre Bindung ist das Einzige, was mich zurück hält eine Dummheit zu begehen. Keine Ahnung, wie lange man von Familie sprechen kann, also pass einfach auf“, drohte ich ihr. Meine Stimme hatte sich beruhigt aber es lag etwas Finsteres in ihr. Meine Oma würde ihre Fehler nie einsehen. Sie würde die Fehler immer bei mir suchen. Also machte es keinen Sinn mehr, irgendetwas hinzuzufügen. Dana nahm meine Hand und führte mich aus der Wohnung. Draußen angekommen atmete ich durch und sah sie entschuldigend an. „Manchmal gehen die Pferde mit mir durch“, sagte ich müde. Wir gingen zu ihrem Auto. „Du bist kein Monster, merk dir das“, forderte Dana mich auf. „Und ganz im Ernst, wenn ich dort wohnen müsste, hätte man mich schon längst bei *Aktenzeichen XY* gesehen. Diese Frau kann einen echt fertig machen.“ Automatisch fing ich an zu grinsen und die Wut war wie weg geblasen. Wir stiegen ins Auto und kicherten. „Ich finde es ja total cool, wie so eine zierliche Person wie du, so wütend werden kann. Haha du bist wie Hulk“, lachte Dana weiter, als sie den Motor startete. Gut, dass ich mich wenigstens auf meine Freunde verlassen konnte, die mich in jeder Situation zum Lachen bringen konnten. Ich sah Dana dankbar an, die meinen Blick sofort bemerkte. „Was ist los?“, fragte sie belustigt. „Danke für alles. Echt, ohne euch wäre ich nie so weit gekommen“, bemerkte ich aufrichtig. Sie lächelte aber in ihrem Blick lag etwas Ernstes. „Ohne dich würde ich heute nicht mehr Leben. Ich denke, wir sind einfach ein sehr gutes Team“, stellte sie fest. Ja, das waren wir.
Im Laufe der Zeit wurde es immer ersichtlicher, dass man das Leben nur meistern kann, wenn man ein gutes Team hat. Man begeht im Leben viele Fehler aber man lernt daraus. Und deine Freunde? Die sollten dich mit all deinen Fehlern lieben und dir helfen, wenn du bereit bist dich zu verbessern. Und das war ich…ich war bereit mich zu bessern. Ich war bereit mich auf mein Team zu konzentrieren und den Menschen Liebe zu zeigen, die es auch verdient hatten.

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Liebe ohne Glück
Noah:
Obwohl ich krassen Jetlag hatte, fuhr ich direkt zu ihr. Mir egal, für wen sie sich angeblich entschieden hatte…sie würde es früher oder später bereuen. Und das wusste ich! Die Zeit bei meiner Familie in Amerika war anstrengend gewesen und der Tod meiner Tante nahm mich immer noch mit. Emotional war ich also total geladen. Vielleicht keine gute Idee, grade dann zu ihr zu fahren und alles auszulassen. Scheißegal! Dicke Tropfen fielen auf meine Windschutzscheibe, als ich neben ihrer Wohnung parkte. In dem Moment fuhr ihr roter Hyundai in ihre Einfahrt. Wo ist sie gewesen? Es fing an, etwas stärker zu regnen. Ich schaltete den Motor ab und atmete durch. Ruhig bleiben, wenigstens ein bisschen. Energisch stieg ich aus dem Auto und knallte die Türe zu. Ich lief die Einfahrt entlang und steuerte die offene Garage an. Sie war grade dabei, das Garagentor zu schließen. Nachdem sie fertig war, drehte sie sich um und blieb abrupt stehen. Sie trug eine schwarze Jogginghose und ein schwarzes Shirt, mit der Aufschrift ihrer alten Schule. Ihre braunen Haare hingen zerzaust in alle Richtungen. Mir war klar, dass sie heute Nacht nicht alleine geschlafen hatte. Mein Kiefer zuckte, verkrampfte sich vor Wut. Ihre braunen Reh-Augen weiteten sich und warteten auf eine Reaktion meinerseits. „Du bist zurück“, stellte sie überrascht fest, als ich nichts sagte. Der kurze Regenschauer hatte bereits aufgehört. Sie kam näher und warf mir ein schwaches Lächeln zu. „Dana hat es mir erzählt“, entwich es mir trocken. Mir war nicht danach zu lächeln. Während meiner Zeit in Amerika hatte ich Dana immer wieder angerufen, weil ich wissen wollte, wie es ihr ging. Sie nickte und schaute auf den Boden. „Ich wollte mit dir darüber reden, wenn du wieder in Deutschland bist. Und das bist du ja jetzt“, bemerkte sie leise. Mein ganzer Körper schien sich jetzt zu verkrampfen. Ich kannte ihre Probleme und ihr verlangen, alle in ihrem Umfeld glücklich zu machen. Doch das funktionierte nicht. „Du hast dich also für ihn entschieden“, sagte ich schroff und bewegte mich nicht. Ich war wie versteinert. Jetzt sah sie mich an. Ich wusste, dass sie meine Gefühle wahrnahm und es sie innerlich zerriss. Das erste Mal hatte ich kein Mitleid, denn sie hatte es zu verschulden. „Ich liebe ihn“, sprach sie aber diese Worte wollten nicht bei mir ankommen. Ich fing an zu lachen aber es war das ekelhafteste Lachen, was mir jemals entwichen ist. Meine Hände ballten sich zu Fäusten. „Das glaubst du wohl selber nicht“, warf ich ihr vor. „Du fühlst nur, was er fühlt. Du willst ihn bloß glücklich machen und ihm helfen, von den Drogen weg zu kommen. Aber du liebst ihn nicht wirklich.“ Ihren Blick konnte ich nicht mehr deuten. Sie entfernte sich etwas von mir. „Tu nicht so, als könntest du mich lesen“, sagte sie zickig und wollte an mir vorbei gehen. „Kann ich nicht aber du bist anders geworden“, rief ich ihr hinterher. Sie blieb stehen aber drehte sich nicht um. „Deine Freunde sind dir egal geworden. Du triffst dich mit keinem mehr, aus unserer alten Gruppe. Immer erfindest du irgendeine Ausrede, damit du bei Marvin bleiben kannst. Ok, du willst mich nicht aber vergiss nicht, wer für dich da war…als du am Boden lagst.“ Sie drehte sich um. In ihren Augen lag etwas so verletzliches, dass ich mich nicht mehr traute weiter zu sprechen. „Ich werde es nicht vergessen. Ihr seid meine Familie“, bemerkte sie aufrichtig. „Du tauscht uns ein“, stellte ich fest. „Nein“, unterbrach sie mich und schüttelte energisch den Kopf. „Aber die Zeiten haben sich geändert. Wenn ich eine Beziehung haben möchte, muss ich lernen, Kompromisse einzugehen.“ Wie krampfhaft sie versuchte an dieser Beziehung fest zu halten wurde mir erst in dem Moment bewusst. Es tat heftig weh…aber ich wusste, sie würde bald den Fehler sehen und zurück kommen. Spätestens beim folgenden Thema…
„Geht er denn auch Kompromisse ein?“, fragte ich sie, nach kurzer Stille. Sie legte den Kopf schief. Das war süß und erinnerte mich an einen kleinen Welpen. Das tat sie immer, wenn sie sich auf eine Sache stark konzentrierte. „Worauf willst du hinaus?“, wollte sie skeptisch wissen und zog eine Augenbraue hoch. Oh, sie wusste schon worauf ich hinaus wollte! „Ich rede von deiner Religion und den dazugehörigen Regeln. Ich denke mal, ihr wollt nicht so schnell heiraten und er will bestimmt auch nicht solange warten…mit gewissen Dingen.“ Ihre Augen verrieten mir sofort…Bingo! Ins Schwarze getroffen! Unsicher wandte sie ihren Blick ab. Mental klopfte ich mir bereits auf die Schulter. „Vielleicht ist es Schwachsinn damit bis nach der Ehe zu warten“, dachte sie laut nach. Mir fiel die Kinnlade herunter. Was war mit ihr passiert, während ich weg gewesen bin?! Religion und Tradition waren ihr immer schon am wichtigsten gewesen! Dafür hatte ich sie immer so sehr geschätzt. Diese Stärke findet man nicht an jeder Ecke. „Das ist doch jetzt nicht dein Ernst, oder?!“, meine Stimme wurde lauter und sie zuckte zusammen. „Lass dir doch von einem Typen nicht dein ganzes Lebenswerk und deine Prinzipien kaputt machen!“ Man sah ihr an, dass sie darunter litt. Sie wollte sich immer noch an die Regeln halten und befand sich in einem inneren Kampf. „Ich will nicht darüber sprechen, bitte. Ich bin immer noch ich“, sagte sie entschlossen und lächelte wieder. Meine Muskeln entspannten sich etwas. Es brachte nichts, mit ihr zu diskutieren. Sie musste selber lernen, wer sie sein wollte. Langsam wandte ich mich ab und wollte gehen. Ich konnte mir dieses Desaster nicht mehr mit ansehen. „Wir können uns nicht mehr treffen“, platzte es aus ihr heraus. „Ich weiß“, meinte ich ernst. „Aber merk dir eins: Wenn er dich liebt, wird er dich mit deiner Religion nehmen. Mit ALLEM was dazu gehört.“ Sie nickte…und sie wusste genau, dass es stimmte. Ganz oder gar nicht. Ich hatte mich schon einige Schritte entfernt, als ich mich noch einmal umdrehte und in meiner Jackentasche nach den Bildern kramte, die ich in Amerika geschossen hatte. Ich warf sie in ihrer Richtung auf den Boden und drehte mich um, damit ich abhauen konnte. „Falls noch irgendwo die Honey ist, die ich kenne…dann werden ihr die Bilder gefallen“, rief ich noch. Im Augenwinkel sah ich noch, wie sie die Bilder aufhob. Auch wenn sie nicht dabei war, so hatte sie jetzt Bilder von echten Tornados.

…Einige Stunden später rief sie bei mir an. Ich weiß, ich hätte es ignorieren können. Aber ich konnte es nicht…
Ihre Stimme klang extrem verzweifelt und aufgelöst. Als ich bei ihr ankam, erzählte sie mir jedoch nicht, was ich hören wollte. Sie erzählte mir von ihrer Liebe zu Marvin und das sie Angst hätte, alle Menschen in ihrem Leben zu verlieren. Für Außenstehende wirkt Honey vielleicht wie ein sehr egoistischer Mensch, weil sie auf ihrer Suche nach der Liebe viele Seelen verletzt hat. Doch wer sie kennt weiß, dass sie sich selbst dabei am meisten verletzt hat. Denn sie sieht sich selbst als Monster, als gefühllos und kalt. Sie ist der Meinung, andere wären ohne sie besser dran. Deshalb entfernt sie sich jedes Mal von Menschen, weil sie eigentlich nur das Beste für jeden möchte. Seltsam aber wahr. Mittlerweile weiß ich, wie man mit diesem Selbstzerstörungstrieb umgehen muss.
Am Ende unseres Gesprächs wurde deutlich, dass ich sie verloren hatte. Versteht mich nicht falsch, ich war immer noch der Meinung, dass wir zueinander gehörten aber man kann einem Menschen nicht sagen, wen er liebt. Derjenige muss es selbst herausfinden. Ich brachte Honey nach Hause, denn sie war sichtlich erschöpft. Irgendein Streit mit Marvin hatte sie wohl fertig gemacht. Normalerweise ein Grund zur Freude, doch wenn ich sie so weinen sah…wie konnte man sich da freuen? Schließlich gab ich nach und sagte etwas, was mir unglaublich wehtun würde…aber es war das Richtige. Zumindest für den Moment. Wir liefen grade auf ihre Haustüre zu, als ich stehen blieb und ausatmete. Augen zu und durch. „Wenn du ihn liebst und er dir was bedeutet…geh zu ihm und klär das. Ich kenne dich. Du wirst dein Handy aus machen und die ganze Nacht heulen. Und am nächsten Tag ignorierst du ihn. Aber diese Masche bringt dich nicht weiter“, stellte ich sachlich fest. Bloß keine Emotionen, sonst würde ich durchdrehen. Sie hörte auf zu weinen und legte ihren Kopf schief. Es war dunkel, denn es war spät in der Nacht. Nur das Licht an der Türe leuchtete ihr Gesicht an. Weshalb die Tränen in ihren Augen glitzerten. „Du willst, dass ich zu ihm gehe und das kläre?“, fragte sie überrascht. Ich nickte angestrengt. Sie sollte ihren eigenen Weg gehen und glücklich werden. „Wenn es das ist, was du willst“, sagte ich monoton. Als hätte sie eine Biene gestochen rannte sie zur Garage. Damit meinte ich eigentlich nicht sofort! Wenn sie sich so aufgelöst ans Steuer setzte, konnte man für nichts garantieren! Also ging ich hinterher und versuchte sie aufzuhalten. Natürlich gelang es mir nicht. Ich hatte ihr wieder Flausen ins Ohr gesetzt und sie ließ sich nicht stoppen. Na schön, dann sollte sie fahren. Sie warf mir noch ein dankbares Lächeln zu, bevor sie die Straße entlang fuhr. Damit war meine Geschichte mit ihr wohl erst einmal beendet. Ich wartete nicht, bis sie wiederkam. Ich wusste, sie würde ihr Ziel erreichen und ihn heute noch in ihre Arme schließen. Denn eins musste man ihr lassen: Wenn sie aufrichtig kämpfte, gewann das Mädchen.

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