Montag, 8. Mai 2017
Der Lichtschalter
Viele fragen sich bestimmt, ob meine Geschichte ein Happy-End hat.
Nun, es war kurz vor meinem zwanzigsten Geburtstag, als ich mich dasselbe fragte. Mein Praktikum in der Kita lief gut, denn ich konnte Kindern helfen und wurde abgelenkt. Allerdings war das Praktikum nur eine Tür, die ich öffnete, um aus meiner Horrorwelt zu entkommen. Diese besagte Tür war leider nur acht Stunden am Tag offen...die restlichen 16 Stunden musste ich selbst gucken, wo ich blieb.
Niemand konnte mich aus dem Gefängnis befreien, in dem ich kauerte. Den Kontakt zu den meisten meiner Freunde hatte ich schon Monate zuvor abgebrochen. Traurigerweise interessierten sie mich nicht mehr. Die Isolation kam von mir aus, obwohl sie mich zerstörte. Wollte ich mich selbst zerstören? Vermutlich. Wollte ich damit aufhören? Ich schätze irgendwo tief in mir drin schon.
Doch leider war es sehr tief in mir drin. Ich hatte nicht mehr die Kraft nach diesem Willen, nach dieser Hoffnung zu suchen.
Nach der Arbeit war ich meistens zu ausgelaugt, um noch etwas anderes zu machen. Müde und niedergeschlagen schmiss ich mich auf mein Bett und schaute Fernsehen. Ich aß und trank und stand selten noch einmal auf, höchstens um mich um meine Kaninchen zu kümmern. Wäre Marvin nicht gewesen, wäre ich wahrscheinlich überhaupt nicht mehr raus gegangen. Eine Beziehung zwingt einen quasi dazu nicht aufzugeben, denn man möchte den Partner nicht enttäuschen. Mein Leben bestand nur noch daraus für die Kinder da zu sein und Marvins Freundin zu sein. Mein Leben bestand nur noch daraus andere Menschen glücklich zu machen. Mir war klar, dass ich mich selbst nicht mehr glücklich machen konnte. Meine Seele war viel zu dunkel geworden und sie war gefangen. Irgendwo zwischen einer Traumwelt, der bitteren Realität und der vergifteten Vergangenheit.
Die Traumwelt...ich wusste, dass ich schlief aber tagsüber war ich so müde, als hätte ich überhaupt kein Auge zu gemacht. Ich sprach mit keinem darüber, nicht mit Marvin und auch nicht mit den Freunden, die ich noch hatte. Manchmal schrieb ich meine Träume auf und neuerdings sprach ich es in mein Diktiergerät, welches ich mir vor kurzem angelegt hatte. Es half nicht komplett verrückt zu werden. Zumal mich tagsüber und auch nachts diese Schmerzen plagten. Auch das hatte sich nicht geändert und würde es auch nicht.
Nichts schien besser zu werden.
Es gab Abende, an denen wartete Marvin extra an meinem Bett, bis ich eingeschlafen war, und fuhr anschließend nach Hause. Er kraulte mich in den Schlaf, damit ich dort wenigstens meinen Frieden bekam. Bei mir zu schlafen wurde für ihn immer schwieriger, weil ich nachts aufwachte und sich fürchterliche Platzangst bemerkbar machte. In solchen Momenten wollte ich ihn sogar von meinem Bett treten. Da ich sowas bei klarem Kopf nicht unterstützte, bat ich ihn wegzufahren, sobald ich schlief. Egoistisch aber irgendwie auch nicht.
In der Nacht träumte ich von bösen Geistern und Dämonen. Ich träumte von schrecklichen Dingen, manchmal auch von Sinnlosen. Es schien, als hätte ich nie Ruhe. Sobald ich über meine ungewisse Zukunft nachdachte, bekam ich Angst und mein Magen zog sich zusammen. Ich wollte nicht mit diesen Schmerzen leben und auch nicht mit diesen Bildern im Kopf. Eigentlich wollte ich mir auch nicht das Leben nehmen, selbst wenn ich leider davon sprach. Das war die Verzweiflung die aus mir sprach, weil sich alles im Kreis drehte. Außerdem wusste ich, dass ich bereit war diese Drohung umzusetzen. Schließlich hatte mein Herz schon einmal aufgehört zu schlagen. Nein, es musste eine andere Lösung geben...eine, auf die ich alleine kommen musste. Keiner würde mir mehr helfen, denn ich hatte mich isoliert. Die Menschen, die noch an meiner Seite waren...zum einen wollte ich die Mehrheit nicht damit belasten und zum anderen...verstanden die Meisten leider kaum wovon ich sprach. Marvin bemühte sich derzeit sehr, das musste man ihm hoch anrechnen.
Doch durch Bemühungen würde man so eine dunkle Finsternis nicht bezwingen können. Diesmal musste ich den Lichtschalter selbst finden. (...)